In dieser Rubrik findet sich eine Artikelserie zur Geschichte der Zeiss-Klassiker Tessar, Sonnar, Planar und Biogon, die in der Zeit zwischen 1930 und 1950 die weltbesten Objektive für das Kleinbild waren. In loser Folge werden wir vertieft auf einzelne Objektive eingehen:

 

Tessar 5 cm 1:3.5, Tessar 5 cm 1:2.8

Triotar 13.5 cm 1:4

Sonnar 5cm 1:1.5,  Sonnar 5cm 1:2,  Sonnar 8.5cm 1:2,  Sonnar 13.5cm 1:4 und  Sonnar 18 cm 1:2.8

Biotar 4cm 1:2, Biotar 5cm 1:2 und Biotar 7.5cm 1:1.5

Biogon 3.5 cm 1:2.8 und Biogon 21mm 1:4.5

 

Die untenstehenden Links führen zu den leicht überarbeiteten Übersichts-Artikeln, die 2011 im Sony Fotospiegel publiziert wurden:

Zeiss Tessar Zeiss Sonnar Zeiss Planar Zeiss Biogon
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Zeiss Tessar f45 dsc03031

Vier Tessare mit der Lichtstärke f4.5 und verschiedenen Brennweiten: 21cm, 15cm, 7.5cm und 13.5cm (in der Balgenkamera).
Das Zeiss Tessar 21cm 1:4,5 kostete um 1925 soviel wie 100g Gold ..
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Zwischen 1900 und 1950 dominierte Zeiss weltweit und unangefochten den Bau von Foto-Objektiven. Wie keinem anderen Hersteller war es Carl Zeiss ab 1880 gelungen, die optische Forschung zu stimulieren und Erkenntnisse aus verschiedensten Gebieten wie Mathematik, Physik, Chemie und Feinmechanik systematisch zu bündeln. Durch eine enge Kooperation von Carl Zeiss mit dem Physiker Ernst Abbe und dem Glashersteller Otto Schott wurden in den 1880er Jahren in Jena optische Gläser entwickelt, die erstmals eine weitgehende Korrektur aller Abbildungsfehler erlaubten. Die Bedeutung und der Einfluss von Zeiss auf die Fotoindustrie kann kaum überschätzt werden.

Zunächst gehen wir detailliert auf die Zeiss-Objektivlinie ein, die zur Grundlage praktisch aller heute produzierten Objektive wurde:

Zeiss Tessar, das „Adlerauge“ (Paul Rudolph 1902)
Zeiss Sonnar (Ludwig Bertele 1931)
Zeiss Planar und Biotar (Paul Rudolph 1896, Merté 1927; Durchbruch um 1960)
Zeiss Biogon (Ludwig Bertele 1936 bzw. 1951)

Alle diese Objektive waren zu ihrer Zeit führend und beeinflussten das Objektivdesign massgebend. Wir haben die faszinierendsten und seltensten Zeiss-Klassiker aus der Versenkung geholt, sie überholt und mit ihnen am digitalen Vollformat sowie an aufwändig restaurierten Original-Zeiss-Kameras fotografiert.

 

VORGESCHICHTE: EINFACHE LINSEN, ACHROMATEN UND DOPPELTE ACHROMATEN

Die Geschichte der Optik verliert sich in grauer Vorzeit. Aus Quarz geschliffene Linsen finden sich ebenso wie die Überreste elektrischer Batterien bereits in mesopotamischen Ausgrabungen, die man in die Zeit vor 5000 Jahren datiert. Rätselhaft sind jene grossen, gut korrigierten asphärischen Linsen, die sich in Wikingergräbern aus dem 8.-12. Jahrhundert finden, denn die entsprechende Technologie ist uns erst seit den 1950er Jahren zugänglich...

Sphärische Linsen weisen eine Reihe von Abbildungsfehlern auf (siehe Kasten). Einer der störendsten ist der Farbfehler: Je nach Wellenlänge des Lichtes werden die Strahlen unterschiedlich stark gebrochen („Dispersion“), was zu Farbsäumen führt. Während der grosse Physiker Isaac Newton die Farbfehler für nicht korrigierbar hielt, fand 1728 der Amateur-Optiker Chester Hall einen gangbaren Weg: Er kombinierte eine Sammel- und eine Zerstreuungslinse aus Gläsern mit unterschiedlicher Dispersion. Der Achromat war geboren.

1804 fand der Mediziner William Wollaston, dass die sphärischen Aberrationen einer Linse reduziert wurden, wenn man sie als Meniskus ausformte („Wollaston Meniscus“, f16). Das galt auch für den Achromaten, der entsprechend geformt ab 1839 als „Chevalier Landscape“ (f16) in der gerade aufkommenden Fotografie eingesetzt wurde. Diese Objektive erforderten bei den damaligen Fotoplatten immer noch minutenlange Belichtungen.

Josef Petzval’s „Portrait Lens“ von 1840 war mit der Lichtstärke von f3.6 eine Sensation, erlaubte sie doch das Porträtieren mit vertretbaren Belichtungszeiten von „nur“ einigen Sekunden. In den 1850er Jahren beschrieb der Mathematiker Ludwig von Seidel erstmals die optischen Abbildungsfehler in systematischer Form. Er benannte fünf monochromatische und zwei chromatische Abbildungsfehler. Im Prinzip standen danach die Mittel zur Verfügung, um leistungsfähige Objektive gezielt zu berechnen. In der Praxis dauerte es aber weitere rund dreissig Jahre, bis sich dieser mental anspruchsvollere Weg gegenüber dem simplen Herumprobieren durchsetzte.

Vergrösserte man den Bildwinkel des Achromaten, so nahm die Verzeichnung (Durchbiegung von Geraden am Bildrand) untolerierbare Ausmasse an. Aufbauend auf Seidels Erkenntnissen fanden 1866 Steinheil („Aplanat“) und Dallmeyer („Rapid Rectilinear“), dass eine symmetrische Konstruktion gleichzeitig die Verzeichnung behob, das Bildfeld ebnete und Koma ausglich. In der Zeit zwischen 1870 und 1920 dominierten diese allgemein „Doppel-Gauss“ genannten, symmetrischen Konstruktionen; ihnen fehlte einzig noch die Korrektur des Astigmatismus.

1896 modifizierte Paul Rudolph den „Doppel-Gauss“ durch je eine vor- und nachgeschaltete Linse zum „erweiterten Doppel-Gauss“ oder „Planar“. Wir werden es in der übernächsten Ausgabe näher beleuchten, da es sich erst um 1960 weltweit durchsetzte. Vorläufer: Zeiss Protar und das Cooke Triplet Als 1884 die neuen, von Schott und Abbe in Zusammenarbeit mit Zeiss entwickelten hochbrechenden Bariumoxid- und niedrig dispergierenden Fluorgläser erhältlich waren, wurde die Korrektion des Astigmatismus absehbar.

Paul Rudolph, damals Leiter der „Photographischen Abteilung“ von Carl Zeiss, legte 1890 den weltweit ersten „Anastigmaten“ vor: Das Zeiss Protar. Das Objektiv war ein unmittelbarer Erfolg. Innert zehn Jahren wurden 100'000 Exemplare in alle Welt verkauft; u. a. wurde es von der Basler Manufaktur E. Suter in Lizenz produziert. Den zweiten wichtigen Anastigmaten, das Cooke Triplet, entwickelte Dennis Taylor (1893). Der Dreilinser ist die simpelste Möglichkeit, um die Seidelschen Abbildungsfehler sinnvoll zu korrigieren. Auf das Triplet und seine Weiterentwicklungen (z. B. das Sonnar) gehen wir in der folgenden Ausgabe des Fotospiegels ein.

Zeiss FS141 TessarQuerschnitte

 

DAS ZEISS TESSAR

Das Tessar am Grossformat

Durch Auflösen des verkitteten Protar-Vordergliedes in zwei Einzellinsen erhielt Rudolph zusätzliche mathematische Freiheitsgrade, um verbleibende Bildfehler besser korrigieren zu können. Zudem kehrte er die Reihenfolge der beiden ersten Linsen um. Der dadurch erhaltene Vierlinser in drei Gruppen wurde 1902 als Tessar in der Lichtstärke f6.3 patentiert. Im Oktober 1904 stellte der erst 25jährige Ernst Wandersleb, der später zum Nachfolger von Paul Rudolph wurde, die klassische, lichtstärkere f4.5-Version vor. Zwischen 1900 und 1930 verdrängten die Tessare allmählich die älteren Objektivtypen.

Bis 1930 hatte sich die Lichtstärke der Kleinbild-Tessare sukzessive auf f2.8 erhöht; das Grossformat musste mit 1:3.5 auskommen. Eine weitwinklige Variante mit 76° Bildwinkel stand zur Verfügung (Tessar 2.8 cm 1:8), und ab 1928 folgten lichtschwächere APO-Tessare mit bis zu 120 cm Brennweite für die Reproduktion.

1934 kostete ein Tessar 5 cm 1:2.8 in fokussierbarer Fassung etwa 60 $, was dem Gewicht von 50 g Gold entsprach (heute über 2000.— sFr). Der Preis des Tessars 21 cm 1:4.5 fürs Grossformat lag bei 100 $ oder 4000.— sFr. Ab 1931 wurde das Tessar von Ludwig Berteles Sonnaren entthront: Diese neuen Zeiss-Spitzenoptiken boten gleichzeitig eine höhere Lichtstärke und bessere Detailauflösung.

 

Die zweite Karriere des Tessars

Das Tessar, das nach dem Ende des zweiten Weltkrieges rund fünfzigjährig war, begann bald eine zweite Karriere. 1936 hatte Igahee in Dresden die erste brauchbare Kleinbild-Spiegelreflex (SLR) vorgestellt, die Kine Exakta. Da der Spiegelkasten relativ viel Raum einnahm, kamen die (besseren!) Sonnare mit ihren weit ins Gehäuse ragenden Hinterlinsen nicht als Normalobjektive in Betracht. Beim Tessar hingegen war genügend Raum vorhanden. Zwei Jahre nach der Exakta folgte die Praktiflex, die nach dem zweiten Weltkrieg zur ersten professionellen System-SLR mit Wechselsucher, Motor und Langfilm-Magazin weiterentwickelt wurde („Praktina“). Als Dritte im Bunde der klassischen deutschen SLRs stellte Zeiss 1950 die Contax S („Spiegel“) bzw. „D“ vor, auf die wir später detailliert eingehen werden. Alle diese Kameras hatten einen Spiegel, Schlitzverschluss, Wechselobjektive und teils Wechselsucher. Alle wurden im Osten Deutschlands (Dresden) gebaut, und alle waren richtungweisend für sämtliche späteren japanischen SLRs.

 

Abbildungsleistung

Der Ruhm der Tessare beruht auf ihrer für die damalige Zeit fantastischen Detailschärfe und dem hohen Kontrast, den die Objektive am um 1900 vorherrschenden Grossformat zeigten. Man muss sich in Erinnerung rufen, dass damals Vergütungen noch nicht existierten; jede Glas-Luft-Fläche reflektierte rund 5% des einfallenden Lichtes und verminderte so den Kontrast. Der Objektivkonstrukteur musste sich auf drei oder maximal vier Elemente beschränken, um das Bildergebnis nicht allzu flau werden zu lassen. Zusätzlich eingeschränkt wurde er durch die limitierenden Eigenschaften der damaligen Glassorten und die Tatsache, dass alles „von Hand“ gerechnet und gefertigt werden musste. Vergegenwärtigen wir uns, wie vor hundert Jahren um 1910 die ersten Automobile aussahen: Es waren krude Kutschen mit Blattfedern, einem hustenden und rochelnden „Verbrennungs-Motor“ und – vielleicht – einem einfachen Verdeck. Umso mehr erstaunt die Tatsache, dass ein rund hundertjähriges Grossformat-Tessar Fotos herzaubern kann, die es problemlos mit den Resultaten der besten DSLRs aufnehmen.

Das klassische Kleinbild-Tessar von Carl Zeiss Jena, das 2.8/50 mm aus den 1930er Jahren, lässt sich in seiner einfach vergüteten M42-Ausführung (ab ca. 1950) mit entsprechenden Adaptern bestens an modernen DSLRs nutzen. An derΑ α700 und der α900, die wir beide verwendet haben, bewegt sich die Detailauflösung auf dem Niveau des Zeiss ZA 2.8/24-70 mm – im Zentrum etwas besser, am Rand etwas schwächer. Das mag manchen überraschen, ist doch das genannte Tessar trotz solider Metallfassung ausgesprochen winzig und leicht (gerade einmal 120g!). Reflexe treten kaum auf, aber das Tessar-Bild wirkt aufgrund der einfachen Vergütungen deutlich flauer. Zugleich sind die Schatten sichtbar besser durchgezeichnet, was für die digitale Fotografie oftmals von Vorteil ist. Das Bokeh – die Charakteristik der Hintergrundunschärfe – ist recht unruhig; Lichtpunkte werden bei Offenblende als Kringel wiedergegeben. Vignettierung und CAs bleiben relativ gemässigt.

Das Fotografieren mit dem winzigen Tessar an der α900 ist ein spezielles Vergnügen; man lernt rasch, das geringe Gewicht zu schätzen und die speziellen Abbildungseigenschaften gezielt einzusetzen.

 

KOPIEN, PARALLEL- UND WEITERENTWICKLUNGEN

1920 lief der Patentschutz des Tessars aus. In der Folge fertigte praktisch jeder Kamera- und Objektivhersteller, der etwas auf sich hielt, ein kopiertes oder verbessertes Tessar. 1925 brachte der Mikroskop-Bauer Leitz mit der Leica die erste praxistaugliche Kleinbildkamera auf den Markt. Trotz der zunächst eher bescheidener Bildqualität und des hohen Preises (275 RM) setzte sie sogleich zum Siegeszug an. Grossen Anteil daran hatte die Leitz’sche Variante des Tessar, das von Max Berek berechnete Elmar 3.5/5 cm. Leitz lieferte weitere Elmare (= Tessare), so das 3.5/3.5 cm, das 4/9 cm und das 4.5/13.5 cm. Damit waren am Kleinbild die Grenzen des Tessars abgesteckt – das 35 mm Elmar vignettierte bereits kräftig, und dem 135 mm-Elmar mangelte es fürs anspruchsvolle Kleinbild an Auflösung. Das 90er und das 50er hingegen begründeten den Weltruhm der Leica-Objektive – auf der Basis von Zeiss. Das Xenar von Schneider, das Ysar von Rodenstock und manche Ektare von Kodak sind weitere berühmte Objektive, die auf dem Tessar-Prinzip basieren.

Zeiss konterte die Herausforderung. Nachdem mit dem Tessar alle Bildfehler im Rahmen des Sinnvollen korrigiert waren, wandte man sich ab 1920 der Erhöhung der Lichtstärke zu. 1932 führte Zeiss als Reaktion auf die Leica die legendär luxuriöse Contax ein. In jeder Beziehung anspruchvoller konstruiert als die Leica, kostete sie ein Vermögen - soviel wie ein halbes Kilo Gold. Sie war damit doppelt so teuer, aber auch doppelt so lichtstark wie die Leica, und sie wartete sie mit Objektiven auf, die die Konkurrenz für die nächsten 15 Jahre hinter sich liessen: Die vom jungen Ludwig Bertele entwickelten Sonnare und Biogone waren ab 1931 die Spitzenobjektive von Zeiss.

P. S.: Leitz und Nikon lieferten beide bis vor kurzem noch waschechte Tessare - das kompakte Elmar M 2.8/50 mm bzw. das Nikon 2.8/45 mm P haben prinzipiell den gleichen Aufbau wie das Zeiss Tessar von 1902.

 

HINTERGRUNDINFOS

Seidel, Abbildungsfehler und ihre Korrektur

Ludwig von Seidel legte 1857 das Standardwerk zur Korrektion optischer Fehler vor. Nach ihm benannt sind die fünf klassischen monochromatischen Abbildungsfehler (sphärische Aberration, Koma, Bildfeldwölbung, Verzeichnung und Astigmatismus). Bei farbigem Licht sind zusätzlich die lateralen und longitudinalen chromatischen Aberrationen (CAs) zu korrigieren. Reflexionen Da jede Glas-Luft-Fläche rund 5% des Lichtes reflektiert, war man vor der Erfindung der Vergütungen (Smakula bei Zeiss, 1936) auf Konstruktionen mit zwei bis drei (in Ausnahmefällen vier) Gliedern eingeschränkt. Man versuchte, sich weitere Freiheitsgrade zu verschaffen, indem man zwei, drei oder vier Linsen aus unterschiedlichen Glassorten zu einem einzelnen Glied verkittete, denn innerhalb dieser mehrlinsigen Glieder treten kaum Reflexionen auf. Dazu verwendete man Kanada-Balsam, der bei den inzwischen gegen 100jährigen Objektiven teils spröde oder trüb geworden ist. Betroffene Objektive kann man zerlegen, die Linsen mittels Lösungsmitteln reinigen und sie dann neu verkitten. Heikel ist dabei die korrekte Zentrierung.

 

Thomas Kreil über die Tessar-Kopie "Xenar" von Schneider Kreuznach

"Die Xenare sind nur einige der weltweit sehr vielen Tessar-Nachbauten, die es bis heute gibt (Congo, etc.). Daher können die Angaben für das Tessar im Prinzip 1:1 übernommen werden. Beim 3,5-er handelt es sich um besonders für das Portraitfach gefertigte Fachobjektive mit ca. 46 Grad Bildwinkel, die 4,5-er mit 60 Grad Bildwinkel waren der allgemeinen Gebrauchsfotografie zugeordnet und die 6,3-er mit 70 Grad Bildwinkel sind die schärfsten Tessare (im GF) für normale Aufnahmeabstände für Werbung, Dokumentation, Technik und Architektur. Das 3,5-er hatte im Bereich der ehemaligen DDR einen besonders guten Ruf bei den Portraitisten (300-er an der 10x15 Mentor Spiegelreflex oder Globica), da an die wohlbekannten Meisterobjektive Heliar oder das Universal-Heliar eigentlich nicht heranzukommen war. Die beim normalen (1:4,5-er) Tessar zu große Schärfe ließ zwar jede Pore anatomisch exakt abbilden, der menschliche Portrait-Kopf ist jedoch kein anatonisches Präparat. Bei Farbabbildungen war das 3,5-er beliebter wegen der wesentlich wärmeren Farbabstimmung."  Zitatquelle hier

 

Zeiss Sonnar contaxRF dsc03042

Die klassischen Sonnare zur klassischen Contax: hinten links das "Olympia-Sonnar" 18 cm f2.8, davor die Contax II mit dem unvergüteten Sonnar 5 cm f2. In der Mitte eine Contax III aus der Zeit kurz nach Ende des zweiten Welkrieges, von Henry Scherer liebevoll restauriert. Das Sonnar 5 cm 1:1.5 ist ein vergütetes Exemplar aus dem Zweiten Weltkrieg in der sehr seltenen zivilen Variante, die sich bis f22 abblenden liess. Rechts davon das Sonnar 13.5cm 1:4, und ganz rechts das Sonnar 85mm 1:2 in der überarbeiteten Nachkriegs-Rechnung aus Oberkochen.

 

Zeiss hatte 1902 mit dem «Tessar» ein Objektiv auf den Markt gebracht, das erstmals alle fünf monochromatischen Abbildungsfehler sinnvoll korrigierte und damit bald zum Standard für das damals vorherrschende Grossformat wurde. Ab 1920 trat zunehmend Lichtstärke als neues Konstruktionsziel in den Vordergrund – gepaart mit höherer Auflösung für das gerade aufkommende Kleinbild. 1923 kam die erste lichtstarke Mittelformat-Kamera für den modernen Fotojournalismus auf den Markt, die «Ermanox». 1925 folgte Leitz mit der winzigen «Leica», die zum Wegbereiter des Kleinbild-Formates wurde.

Der grosse Kamerahersteller Zeiss verpasste diese Entwicklung, setzte aber ab 1932 mit der luxuriösen «Contax» einen neuen Markstein. Die neuen Optiken zur Contax – die «Sonnare» und «Biogone» – waren gleichzeitig die lichtstärksten und schärfsten Foto-Objektive des Weltmarktes. Es dauerte rund zwanzig Jahre, bis andere Hersteller dieses Niveau erreichten – und selbst das nur deswegen, weil als Folge des zweiten Weltkrieges alle Zeiss-Objektive patentfrei nachgebaut werden durften.

Schlüsselfigur bei der Entwicklung aller dieser Objektive war der junge Objektivkonstrukteur Ludwig Bertele. Seine Lösungsansätze wurden nach dem zweiten Weltkrieg von allen namhaften deutschen, russischen und japanischen Herstellern kopiert. Leitz, Canon, Nikon, Minolta, Pentax und andere hätten ihre lichtstarken Optiken nie ohne die wegweisenden Entwicklungen von Zeiss realisieren können.

 

 

DIE VORLÄUFER: COOKE TRIPLET UND ERNOSTAR

Das von Taylor gerechnete «Cooke Triplet» (1893) war nach dem Zeiss «Protar» (1890) der zweite Anastigmat des Weltmarktes. Bei einem beschränkten Bildwinkel (ca. 15°) und mässiger Lichtstärke (ca. f4) wurden mit dem Triplet durchaus vorzeigbare Ergebnisse erzielt. Charles Minor rechnete 1916 eine lichtstärkere Variante («Ultrastigmat», f1.9) für den Kinofilm. Um die sphärischen Aberrationen zu reduzieren, verteilte er die Brechkraft der vorderen Sammellinse auf zwei Linsen. Der erst 23jährige Objektivkonstrukteur Ludwig Bertele griff 1923 bei Ernemann in Dresden dieses Prinzip auf und entwickelte daraus die ersten praxistauglichen Foto-Objektive mit einer Lichtstärke von («Ernostar», 10 cm f2).

In den Händen des weltgewandten Photojournalisten Erich Salomon wurde die «Ermanox» genannte Mittelformat-Kamera zum Wegbereiter des modernen Fotojournalismus. Diskret – oder eben indiskret! – dokumentierte Salomon das politische Geschehen kurz nach Ende des ersten Weltkriegs. Überliefert ist das Bonmot des französischen Premiers Aristide Briand: «Für eine internationale Konferenz braucht es nur drei Dinge: Ein paar Aussenminister, einen Tisch – und Salomon!». Salomon wurde aufgrund seiner jüdischen Herkunft am 7. Juli 1944 von den Nazis in Auschwitz ermordet. Seine Bilder sind aber bis heute lebendig: Erstmals war Fotografie bei gegebenem Licht möglich geworden – an Konferenzen, im Theater und sogar nachts!

 

LEICA UND CONTAX - DIE UNGLEICHEN SCHWESTERN

1925 revolutionierte Leitz mit der elegant durchdachten «Leica» das Fotografieren. Das schlichte, minimalistische Design – «form follows function» – verhalf dem Kleinbild bald zum Durchbruch. Die «Leica II» wurde ab 1930 ein Grosserfolg, nachdem Leitz Wechseloptiken anbot. Der kleine Mikroskopbauer Leitz erwischte den selbstbewussten Kamerahersteller Zeiss auf dem linken Fuss: Zeiss hatte schlicht nichts Gleichwertiges anzubieten. Zeiss kaufte 1926 vier kleinere Dresdener Kamerahersteller auf – darunter den innovativen Ernemann – und entwickelte eine Kleinbildkamera, in in jeder Beziehung besser als die Leica sein sollte: die «Contax».

Die Contax war innovativ, anspruchsvoll, edel, luxuriös. Mit dem «Sonnar» 1.5/50 mm ausgestattet, kostete sie soviel wie ein halbes Kilogramm Gold – dreimal mehr als eine «Leica», bei der das lichtschwache Elmar 3.5/50 mm immer noch der Standard war. Problematisch war, dass Leitz viele naheliegende Lösungswege patentiert hatte; Zeiss musste auf komplizierte Ausweichlösungen zurückgreifen. Die erste «Contax» (1932) galt als unzuverlässig, und erst die überarbeiteten «Contax II» und «Contax III» (1936) wurden zu professionellen Arbeitspferden.

Die «Contax III» hatte als erste Kleinbild-Kamera überhaupt einen eingebauten Belichtungsmesser. Die feine Belederung wurde aufwändig in Eichenholz-Extrakten gegerbt und mit feinstem Schelllack auf das edel verchromte Metallgehäuse aufgespannt. Ihr unverwüstlicher schwarzer Lack widersteht allen gängigen Lösungsmitteln: Er besteht aus baltischem Bernstein, der in siedendem Öl aufgelöst wurde. Die Verschlussbänder der Contax sind aus feinster japanischer Seide gewoben. Nur so konnte man einen zuverlässigen Ablauf der 1/1250 s gewährleisten.

 

DAS ZEISS SONNAR

Wirklich bahnbrechend waren aber die Objektive zu Contax. 1931 fand Bertele – inzwischen bei Zeiss – zu einer bestechend wirkungsvollen Modifikation des ursprünglichen «Ernostar»-Prinzips: Er füllte die sogenannte Luftlinse zwischen zweitem und drittem Element mit einem niedrig dispergierenden Fluorid-Glas. Damit waren zwei Glas-Luft-Flächen verschwunden, was den Kontrast deutlich erhöhte. Durch die niedrige Dispersion ermöglichte dieses Glaselement gleichzeitig eine wirkungsvolle Korrektur der Farbfehler. Das «Sonnar» (von «Sonne») war geboren.

Alle ursprünglichen Sonnare waren aus nur drei Gliedern aufgebaut, hatten aber bis zu acht Linsen. Da vor 1936 keine Vergütungen existierten, bedeutete dies einen sichtbaren Kontrastvorteil gegenüber der Konkurrenz. Zudem erreichten die Sonnare ihre optimale Detailschärfe bereits bei f5.6. Für die nächsten zwei Jahrzehnte galten die Sonnare als die weltbesten Kleinbild-Objektive: Sie waren gleichzeitig lichtstärker, kontrastreicher und höher auflösend als alle andern Objektive. Kehrseite der Medaille war eine teure und aufwändige Montage. Die verkitteten Dreier-Glieder waren schwierig zu fertigen und noch schwieriger zu zentrieren, und die Spezialgläser machten wegen des hohen Schmelzpunktes Schwierigkeiten. Auch das Bokeh der frühen Sonnare war bei Offenblende eher kringelig und brachte damit Unruhe ins Bild.

 

Die klassischen «Sonnare» zur Contax

Zunächst kam 1931 das Sonnar 5 cm 1:2 auf den Markt. Dieses erste lichtstarke Kleinbild-Objektiv hatte bald einen besseren Ruf als das zwei Jahre später erschienene «Summar» 5 cm 1:2 von Leitz. Bereits 1932 folgte das Sonnar 5 cm 1:1.5, dem Leitz dann nichts mehr entgegenzusetzen hatte. Als erstes hochlichtstarkes Foto-Objektiv überhaupt war es eine Sensation. Da 1932 noch keine höchstbrechenden Sondergläser zur Verfügung standen, musste das Sonnar 1.5/50 mm auf recht stark gespannte Linsenradien zurückgreifen. Die deutlichen sphärischen Restfehler führen bei f1.5 zu einer charakteristischen Überstrahlung der Spitzlichter. Das Bild scheint dadurch von innen heraus zu leuchten („The Glow“, siehe Ausschnitt unten). Blendet man ab, verschwindet dieses Phänomen.

Ebenfalls 1932 rechnete Bertele das immer noch geschätze Sonnar 13.5 cm 1:4 sowie das Porträt-Sonnar 8.5 cm 1:2. Beide sind bereits bei Offenblende praktisch frei von sphärischen Aberrationen und störender Vignettierung, und ihr Kontrast ist Zeiss-typisch hoch. Zur Olympiade in Berlin (1936) konstruierte Bertele ein weiteres Sonnar, das Geschichte schrieb – das «Olympia-Sonnar» 18 cm 1:2.8. Möglicherweise als Kino-Objektiv für Leni Riefenstahls Propaganda-Filme entwickelt, ist die 1.3 kg schwere Optik der Urtyp aller lichtstarken Sport-Objektive. Mit der relativ langen Brennweite und der hohen Lichtstärke ermöglichte es erstmals das Einfrieren von schnellen Bewegungen und gewagten Sprüngen.

 

Das «Olympia-Sonnar» an der Sony α900

Für diesen Artikel haben wir ein historisches «Olympia-Sonnar» revidiert und es an die Sony α900 adaptiert. Zusammen mit dem notwendigen «Vertical Grip» liegt die massige Ausrüstung sehr ausgewogen in der Hand. Der leichtgängige Schneckengang – auch nach 60 Jahren ohne jegliches Spiel! – und die exzellente Sucherkonstruktion der α900 erlauben ein wesentlich präziseres Fokussieren als die modernen AF-Optiken. Dadurch geht gerade bei schnellen Motiven die Arbeit fühlbar flüssiger vonstatten, weil die Aufmerksamkeit des Fotografen nicht zwischen dem Fassen der Schärfe und der Ausschnittwahl «umschalten» muss. Diese Erkenntnis hat mich zunächst überrascht. Fakt ist, dass ich mit dem sechzigjährigen «Carl Zeiss Jena 18 cm 1:2.8» an einem Wochenende deutlich mehr gelungene Bilder erhalten habe als üblich.

Punkto Detailauflösung ist das «Olympia-Sonnar» etwas besser als das Minolta AF 2.8/80-200 mm APO. Bei Offenblende entsteht eine angenehm sanfte, aber gleichzeitig sehr detailreiche Zeichnung über das ganze Bildfeld. Spitzlichter überstrahlen auf eine charakteristische Weise. Abgeblendet auf f5.6 steigt der Mikrokontrast deutlich an, und das «Olympia-Sonnar» erreicht die Leistung des Sony 2.8/70-200 mm G.

 

Extreme Lichtstärken

In den Kriegsjahren lieferte Zeiss Objektive, deren Eckdaten auch heute noch erstaunen. Ein Sonnar mit Brennweite 70 mm und der schier unglaublichen Lichtstärke von 1:0.7 befindet sich im Kameramuseum von Johannesburg. Eine Kleinserie von 1.5/150 mm-Sonnaren wurde für Luftbildaufnahmen gefertigt, und dreihundert 1.4/400 mm wurden um 1944 gebaut, um die erwartete nächtliche alliierte Landung an der Atlantikküste rechtzeitig entdecken zu können.

 

KOPIEN UND WEITERENTWICKLUNGEN

Die Sonnare, deren Patentschutz durch den zweiten Weltkrieg verloren ging, wurden bald überall nachgebaut. Japanische Firmen – allen voran Canon und Nikon – hatten 1940 als Folge der Zusammenarbeit mit Nazi-Deutschland bereits die relevanten Patente erhalten. Beide Firmen kopierten die Sonnare zunächst praktisch unverändert. Anfangs der 1950er Jahre begannen die japanischen Firmen, ihre Sonnare zu verbessern, während Zeiss immer noch massiv unter den Nachkriegswirren im geteileten Deutschland litt. Canon baute ein «Serenar» 1.5/85 mm, Nikon brachte sein legendäres 2.5/105 mm auf den Markt, und Zunow steigerte die Lichtstärke des 50er Sonnars auf 1:1.1. Da sowohl Dresden als auch Jena in der russischen Besatzungszone lag, erzwang die russische Militärverwaltung ab 1945 von Zeiss die Herausgabe von Maschinen, Ersatzteilen und Fachkräften, um ab 1946/47 in Kiev (Ukraine) die wertvolle Contax als «Kiew» nachzubauen; die Sonnare wurden ebenfalls bis in die 1980er Jahre hinein nachgebaut. Zahlreiche 135 mm Objektive, darunter das exzellente Leitz «Tele-Elmar» 4/135mm, konnten ihre enge Verwandtschaft mit dem ursprünglichen Sonnar 4/135 mm von Bertele nicht leugnen. Auch die klassischen 2.8/180 mm Objektive von Leitz und Nikon waren schlicht leicht abgewandelte «Olympia-Sonnare».

 

AUSBLICK

Die zunehmende Verbreitung der Vergütung – ebenfalls eine Entwicklung von Zeiss – sowie die neuen Lanthan-Spezialgläser führten in den 1950er und 1960er Jahren dazu, dass die Sonnar-typischen, verkitteten Dreierglieder durch kostengünstigere Einzellinsen ersetzt werden konnten: Die Entwicklung ging damit bei mittellangen Brennweiten wieder zurück zum «Ernostar»-Typ. Einzig im Mittelformat-Bereich konnten sich die klassischen Sonnare teils halten («Hasselblad», «Pentacon Six»). Wegen der aufkommenden SLRs verlagerte sich die Entwicklung der Normalobjektive ab 1950 zunehmend hin zum «Planar»-Prinzip – ebenfalls eine klassische Zeiss-Konstruktion. Das ursprüngliche Sonnar ist somit weitgehend Geschichte - sein Einfluss auf die Konstruktion hochlichtstarker Brennweiten kann aber kaum überschätzt werden.

Zeiss Biotar contaxs contaxd

Die Biotare waren die unübertroffenen Hochleistungsoptiken an den ersten Kleinbild-SLRs. Die Zeiss «Contax S» (ab 1948, rechts) und «Contax D» (ca. 1955, mitte) sind die Ur-Typen aller modernen Kleinbild-SLRs; hier mit den legendären Biotaren 7.5 cm 1:1.5 und 5.8 cm 1:2 abgebildet.
Contax S und Biotar 1.5/7.5 cm in verdankenwerter Weise liebevoll restauriert von dipl. Ing. Peter Olbrich, Görlitz.


EINLEITUNG

Die wohl bedeutendste Objektivkonstruktion überhaupt, das Zeiss «Planar», ist ebenso wie das «Tessar» dem damaligen Zeiss-Chefoptiker Paul Rudolph zu verdanken. Kurz nach dem «Protar» und noch vor dem «Tessar» rechnete Rudolph 1896 ein Objektiv, das seiner Zeit deutlich voraus war. Erst ein halbes Jahrhundert später – durch die ebenfalls von Zeiss entwickelte Vergütung  und die aufkommenden Spiegelreflex-Kameras (SLRs) – konnte das «Planar» seinen eigentlichen Durchbruch feiern. Praktisch alle hochlichtstarken Objektive werden heute als «Planare» ausgelegt, und über 100 Millionen Stück dürften bislang gefertigt worden sein.

 

VON GAUSS UND DOPPELGAUSS

Noch vor der Erfindung der Fotografie schlug der Mathematiker Gauss 1817 vor, den  klassischen, verkitteten Achromaten für die Astronomie in zwei Einzel-Linsen aufzusplitten und damit die sphärischen Aberrationen für alle Wellenlängen des Lichtes gleichmässig zu korrigieren. Realisiert wurde Gauss’ Vorschlag allerdings erst 1877 in einem von Clark in Cambridge gebauten Teleskop. Durch einen symmetrischen Aufbau von Objektiven werden drei Abbildungsfehler (Koma und Verzeichnung sowie die lateralen chromatischen Aberrationen) automatisch korrigiert, zumindest beim Massstab 1:1. Aus diesem Grund verdoppelte Clark’s Sohn das ursprüngliche Gauss-Objektiv und patentierte es 1888 als Foto-Objektiv («Doppel-Gauss»). Manche der auf diesem Prinzip aufbauenden Grossformat-Objektive wie z. B. das «Eurynar» von Rodenstock werden auch heute noch aufgrund ihrer Eigenschaften als «Tiefenzeichner» in der «fine art» Szene geschätzt; den Durchbruch schafften sie aber nicht.

 

 Zeiss FS143 PlanarBiotarQuerschnitte  

DAS ZEISS PLANAR

Paul Rudoph, der 1890 mit dem Zeiss «Protar» den ersten Anastigmaten gerechnet hatte, wandte sich kurz danach wieder den symmetrischen Objektiven  zu. Er fand, dass man die beiden Hauptfehler des «Doppel-Gauss» (sphärische Aberrationen und Astigmatismus) durch ein dickeres negatives Element und verkleinerte Zwischenräume zwischen den Linsen weitgehend eliminieren konnte. Problematisch war, dass keine geeigneten Gläser zur Verfügung standen, die – bei gegebener Brechzahl – die gewünschte Dispersion hatten; die Korrektur der Farbfehler schien zunächst unmöglich. Rudolph hatte daraufhin die geniale Idee, die beiden negativen Elemente in je zwei verkittete Linsen aufzuspalten, die aus Glas mit identischem Brechungsindex, aber unterschiedlicher Dispersion gefertigt waren. Durch geeignete Wahl der Linsenradien konnte er dadurch die Dispersion des gesamten negativen Elementes stufenlos steuern und genau auf den gewünschten Wert bringen.

Trotz einer exzellenten und bis in die Bildecken gleichmässigen Detailauflösung galt das Planar als «Spezialobjektiv für Mikro- und Brieftaubenfotografie» (David 1920). Aufgrund der acht Glas-Luft-Flächen waren die inneren Reflexionen zu hoch und der Kontrast zu flau. Der Durchbruch blieb dem Planar vorerst verwehrt.

 

LEE'S OPIC LENS

Um 1900 waren die meisten Objektive symmetrisch aufgebaut und somit für einen Massstab von 1:1 korrigiert. Diese Tatsache mag uns ungewohnt erscheinen – doch damals nahm man Porträts auf 18x24 cm oder 30x40 cm grossen Platten auf, also in etwa bei Masstab 1:1. Der aufkommende Kino-Film verlangte nach anderen Konstruktionen. Da man ab 1920 wegen des Tonfilms auf die hellen, aber lauten Bogenlampen verzichten musste, wurden lichtstarke Objektive  wichtig. Weil zudem das Kino-Negativ nur 16x24 mm gross war, mussten die Objektive neu auf einen Masstab von ca. 1:20 optimiert werden. Zudem war höchste Detailauflösung gefragt, um auf dem winzigen Negativ genügend Bildinformationen speichern zu können. Horace W. Lee, einer der wichtigsten englischen Objektivdesigner, erkannte 1920 das Potenzial des Planars für den Kino-Film. Er erhöhte er die Lichtstärke auf f2 und baute es zugleich leicht asymmetrisch, um es auf einen Massstab von 1:20 zu optimieren.

Lee’s Pionierarbeit und das aufkommende Kleinbild führten bald dazu, dass das Planar-Prinzip intensiv weiterentwickelt wurde. Tronnier bei Schneider-Kreuznach («Xenon», 1925), Merté bei Zeiss («Biotar», 1927) und Berek bei Leitz («Summar», 1933) schufen Objektiv-Klassiker, die in die Geschichte der Fotografie eingingen. Alle basierten auf dem Planar von 1897 – aber keine dieser Optiken erreichte die Leistung der «Sonnare» von Bertele, die in den 1930er Jahren als die besten Kleinbildobjektive galten (siehe Fotospiegel 142).

 

TRONNIER, SCHNEIDER-KREUZNACH UND LEICA

Zeiss hatte die Sonnare durch Patente bestens geschützt. Die Konkurrenz – darunter Leitz und Schneider-Kreuznach – musste gezwungenermassen andere Wege finden. Basierend auf den Patenten von ­­­Lee rechnete Albert Tronnier in den 1930er Jahren bei Schneider-Kreuznach eine Reihe von Planar-Modifikationen, die im Prinzip alle heute gebräuchlichen Lösungen für hochlichtstarke Objektive vorwegnahmen. Durch Aufspalten der verkitteten Glieder in Einzellinsen und/oder die Verdoppelung einzelner, zu stark gespannter Linsen entstanden Konstruktionen, die theoretisch die Leistung der Sonnare erreichen konnten. Da sie aber fünf oder gar sechs Einzelglieder aufwiesen, war die Reflexneigung zu hoch und der Kontrast zu niedrig. Ein typisches Beispiel ist das Schneider «Xenon» 5 cm 1:1.5, das zunächst für Kinofilm, dann auch für die Leica gebaut wurde. Ohne Vergütungen war das fünfgliedrige «Xenon» aber dem dreigliedrigen «Sonnar» deutlich unterlegen.

 

DAS ZEISS BIOTAR

Willy Merté, der u. a. beim alten Röntgen Physik studiert hatte, war in den 1930er-Jahren nebst Ludwig Bertele einer der wichtigsten Objektivkonstrukteure bei Zeiss. Er rechnete ab 1927 eine Reihe von hochlichtstarken Optiken für den Kine-Film, die «Biotare». Bereits aus dem Objektiv-Querschnitt lässt sich erahnen, dass die Biotare  für das kleinere Bildformat des Kinofilms optimiert waren. In den 1930er Jahren folgten die Kleinbild-Biotare 2/40mm, 2/58 mm und 1.5/75 mm sowie die beiden 2/80 mm und 2/100 mm für das Mittelformat. Die extrem lichtstarken 1.4/140 mm und 2/250 mm dürften für militärische Nachtaufklärung gerechnet worden sein.

 

Das Biotar 5.8 cm 1:2

 

Die Tatsache, dass Zeiss im Kleinbildbereich zusätzlich zu den exzellenten Sonnaren auch das Planar-Prinzip wieder aufgriff, erklärt sich mit der 1936 vorgestellten «Kine Exakta», der ersten Kleinbild-SLR überhaupt. Der Spiegelkasten verlangte nach einem relativ grossen Freiraum zwischen Objektiv und Film, und die Biotare konnten das im Gegensatz zu den Sonnaren bieten. Das Zeiss «Biotar» 5.8 cm 1:2 (1938) galt bei den lichtstarken SLR-Standardobjektiven rund 15 Jahre lang als das Mass aller Dinge.

Bei Offenblende zeichnet das Objektiv an APS-C-DSLRs erstaunlich scharf; die leichten sphärischen Restfehler führen gerade bei «avaliable light» Aufnahmen zu einer fast romantischen Überstrahlung der Spitzlichter. An der A900 ist es bei f2.0 zwar schwächer als das Sony 1.4/50 mm, bei f8 aber fast perfekt – besser als das Zeiss «Tessar» 2.8/50 mm und sogar leicht besser als das Zeiss ZA 2.8/24-70 mm!

 

Das Biotar 7.5 cm 1:1.5

 

Weit gesuchter ist heute das Juwel unter den klassischen Zeiss-Linsen: das Zeiss Biotar 7.5 cm 1:1.5 (1938). Es ist das erste hochlichstarke Portrait-Objektiv des Weltmarktes. Nicht zuletzt aufgrund seines Preises (damals mehr als zwei Monatsgehälter eines Ingenieurs)  blieb das 1.5/7.5 cm aber ein ausgesprochenes Spezialobjektiv für schlechte und schlechteste Lichtverhältnisse. Die Optik hat zwar nur sechs Linsen – diese sind aber teils aus hochbrechenden, leicht gelblichen Sondergläsern gefertigt, auf die Ende der 1930er Jahre nur Zeiss Zugriff hatte.

Bei Offenblende zeichnet 1.5/7.5 cm an der A900 nur im Bildzentrum detailreich; gegen den Rand hin nimmt die Auflösung schnell und deutlich ab. Aufgrund der relativ kleinen Frontlinse haben die Unschärfe-«Kreise» am Bildrand die Gestalt von Katzenaugen («swirling bokeh»). Sagittale und tangentiale Schärfe unterscheiden sich am Bildrand erheblich (ähnlich dem Zeiss ZA 2.8/24-70 mm). Die Bildanmutung ist bei f1.5 recht sanft, was gerade in kontrastreichen «available light» Situationen zu gut durchgezeichneten Schatten führt, ohne dass die Lichter «ausfressen» (siehe Bildbeispiele). Auch für Porträts eignet sich das voll geöffnete 75er Biotar gut.

Bei f2.0 steigt der Kontrast beträchtlich an, die Randunschärfen bleiben aber unverändert. Bei f5.6-f8 wird das Optimum an Detailauflösung erreicht; hier übertrifft das alte Zeiss sogar die modernen f2.8-Zooms. Generell ist die Farbkorrektur der Biotare exzellent – man muss sogar von apochromatischer Korrektur ausgehen, denn auch bei kritischer Betrachtung sind keine Farbquerfehler feststellbar.


 

Zeiss Biotar arnopisa

Pisa mit dem Arno. Die exzellente Detailauflösung und der mässige Kontrast des alten Biotars ergeben trotz hartem Mittagslicht ein perfekt durchgezeichnetes Bild.Das Biotar 7.5 cm 1:1.5 - hier in der frühren Nachkriegvariante mit M42-Gewinde an die Sony A900 adaptiert - zeichnet bei f5.6 den 24MP Vollformatsensor makellos aus. Selbst die Farbfehler (CA's) sind weitgehend korrigiert. Durch den Einsatz von Sonderngläsern tritt bei Farbaufnahmen allerdings ein recht deutlicher Gelbstich auf, der nur schwierig zu korrigieren ist.

Zeiss Biotar tuerklopferpisa Zeiss Biotar jazzinsonvico

Links: Antiker Türklopfer in der Altstadt von Pisa. Rechts: "Jazz in Sonvico 2011" - Simon Quinn, Homeland. Biotar 7.5 cm bei voller Öffnung (f1.5) an der Sony A900. Typisch die gute Detailauflösung im Zentrum und das "swirling Bokeh". Die Auflösung am Bildrand lässt - nicht nur der Tiefenschärfe wegen - massiv nach.

DIE ZEISS CONTAX S

Bereits vor Ausbruch des 2. Weltkrieges begann Hubert Nerwin bei Zeiss Ikon unter dem Namen «Syntax» mit der Konstruktion einer Kleinbild-SLR. Prototypen wie auch Pläne wurden aber beim grossen Bombardement von Dresden 1945 völlig zerstört. Nach dem zweiten Weltkrieg nahm Zeiss in Jena – unter russischer Kontrolle – baldmöglichst die Produktion wieder auf. Zunächst baute man 1945/46 eine neue Produktionsschiene für die Messsucher-Contax auf. Bereits am 23. Okt. 1945 wurde bei einem Treffen des deutschen Konstrukteurs Winzenberg mit dem russischen Major Turygin auch die Idee der «Spiegel-Contax» wiederbelebt. In der Folge entwickelte Zeiss Ikon eine gänzlich neue SLR, deren grundlegendes Design bis in die 1980er Jahre für praktisch alle japanischen SLRs wegweisend blieb.

Die «Contax S» war die erste SLR mit fest eingebautem Pentaprisma. 1948 an der Leipziger Messe vorgestellt, war sie ebenso präzise gebaut wie die Leica und kostete mit 475 $ sogar rund einen Drittel mehr als diese. Man setzte auf den von Leitz entwickelten Tuchverschluss, der deutlich zuverlässiger als der Metall-Rollo-Verschluss der Messsucher-Contax war. Die Sowjets brachten das M42-Schraubgewinde ein, das bald zum Standard bei SLRs wurde. Da Zeiss mit Asahi in Japan zusammenarbeitete, diente die «Spiegel-Contax» auch als Grundlage für die höchst erfolgreiche «Pentax» (PENtaprisma ConTAX), die ab 1957 das Ende der Messsucherkameras im professionellen Bereich einläutete. Zweifellos analysierte auch Nikon die «Contax S» eingehend, bevor die klassische Nikon F (1959) konstruiert wurde - und gleiches dürfte für Minolta gelten, deren "SR-1" und "SR-2" ab 1958 auf den Markt kamen.

 

DER DURCHBRUCH IN DEN 1960ER JAHREN

Durch die Vergütung wurden nach dem 2. Weltkrieg die von Tronnier um 1930 vorgeschlagenen Planar-Abkömmlinge mit fünf oder sechs Gliedern realisierbar. Trotzdem erreichten die hochlichtstarken Planare erst um 1960 das Niveau von Berteles Sonnar 1.5/50 mm. Ironischerweise leistete zunächst der Zeiss-Konkurrent Leitz einen wichtigen Beitrag für den Durchbruch des Planars. Leitz setzte ab 1935 auf das Schneider «Xenon» 5 cm 1:1.5. Es ähnelte stark dem von Lee 1930 patentierten Planar-Abkömmling mit verdoppeltem Hinterglied. Ab 1949 wurde das «Xenon» von Leitz patentfrei als «Summarit» 1.5/50 mm nachgebaut – jetzt allerdings mit Vergütungen und damit praxistauglich.

Praktisch alle anderen Hersteller folgten. Das Zeiss Planar 1.4/55 mm (1961), das Nikkor-S 1.4/50 mm (1962), aber auch Canons 1.2/58 mm (1962) und Minoltas MC-Rokkore 1.2/58 mm (1968) und 1.4/50 mm (1973) basieren auf demselben Prinzip. Eine weitere, 1937 von Tronnier bei Schneider vorgeschlagene Modifikation löste das vordere Dublett des Planars in Einzellinsen auf. Dieses Prinzip findet sich u. a. im Minolta MC 1.7/85 mm (1970) und im Zeiss Planar 1.4/85mm (1974).

Löst man beim Planar das Vorderglied auf und verdoppelt gleichzeitig die Hinterlinse, so bekommt man  zwölf Glas-Luft-Flächen. Ohne wirksame Vergütung war diese Variante praktisch nicht umzusetzen. Erst 1968 zeigten Canon und Pentax mit ihren neuen 1.4/50 mm das Potenzial dieser Bauweise. Das Resultat war so überzeugend, dass seither praktisch alle hochlichtstarken Normalobjektive nach diesem Prinzip aufgebaut werden. Durch höchstbrechende Sondergläser mit Brechzahlen von  >1.9 konnte Mandler bei Leitz 1976 die Lichtstärke dieses Typs sogar auf f1.0 steigern (Noctilux 1.0/50 mm).

Verzichtet man auf hohe Lichtstärke, so kann das Planar auch als Fünflinser gebaut werden. Sowohl Zeiss Jena  («Biometar» 2.8/80 mm und 2.8/120 mm) als auch Zeiss Oberkochen («Planar» 2.8/80 mm) nutzten dieses Prinzip für die vielgerühmten Arbeitspferde zur «Hasselblad» und zur «Pentacon Six».

 

AUSBLICK

Trotz zahlloser Modifikationen – deutlich über 300 Planar-Abkömmlinge wurden patentiert – ist allen Planaren etwas von der eleganten Symmetrie von Rudolphs ursprünglichem Entwurf geblieben. Erst seit kurzem tauchen vermehrt stärker abgewandelte Planare auf. Ein 2009 angemeldetes Sony-Patent für ein 1.2/50 mm- Kleinbildobjektiv zeigt, in welche Richtung die Entwicklung gehen könnte. Die Abbildungseigenschaften des Planars wurden zum Massstab für sämtliche modernen Objektive. Paul Rudolph, der sein mit dem «Protar», «Tessar» und «Planar» erarbeitetes Vermögen in der grossen Inflation von 1922/23 verloren hatte, musste aber bis ins hohe Alter weiter arbeiten, bevor er 1935 verstarb. 

EINLEITUNG

 

Weite Winkel ermöglichen speziell in der Landschafts- und Architekturfotografie jene Bilder, die unverkennbar das «gewisse Etwas» haben. Sie bringen eine Räumlichkeit und Dreidimensionalität, die gerade bei Grossvergrösserungen zum Tragen kommt. Bereits in den frühen Tagen der Fotografie, als der Bildwinkel der Objektive auf maximal 60° limitiert war, bestand der Wunsch nach extremeren Perspektiven.

 

Zunächst schienen jedoch die Schwierigkeiten für ein solches Unterfangen unüberwindlich: Die Verzeichnung nahm untolerierbare Ausmasse an, und die natürliche Vignettierung der Blendenöffnung führte zu einem dramatischen Lichtabfall in den Bildecken. Als wäre das nicht schon genug, bereiteten chromatische und sphärische Aberrationen sowie die Bildfeldwölbung zusätzliche Schwierigkeiten. Im 19. Jahrhundert blieb der Bildwinkel auf 75° limitiert. Selbst das erreichte man nur unter Inkaufnahme von Eckunschärfen sowie einer miserablen Lichtstärke von 1:18 oder 1:25!

 

Die letzte Folge unserer «History»-Serie über klassische Zeiss-Objektive ist den «Biogonen» («bios» = Leben, «gonios» = Winkel) gewidmet. Ursprünglich 1936 von Ludwig Bertele als leichter Weitwinkel aus dem «Sonnar» entwickelt, galt das erste Biogon bald als bestes und gleichzeitig lichtstärkstes Kleinbild-Weitwinkelobjektiv. Nach dem 2. Weltkrieg übersiedelte Bertele in die Schweiz, wo er bei Wild Heerbrugg ein Serie von bahnbrechenden Luftbild-Objektiven enwickelte. Er liess neuste sowjetische Erkenntnisse in sein Design einfliessen, konnte den Bildwinkel auf 120° steigern und erhielt so das erste voll korrigierte Superweitwinkel-Objektiv des Weltmarktes: Das Wild «Aviogon» begründete den Weltruhm der Schweizer Luftbildkameras. Kurze Zeit später konstruierte Bertele für Zeiss einen vereinfachten, aber immer noch extrem leistungsfähigen Abkömmling, der für die Messsucher-Contax und die Hasselblad beinahe 50 Jahre lang produziert wurde.

 

 

DAS GOERZ / ZEISS HYPERGON

 

Die Dresdener Firma Goerz – später von Zeiss übernommen – schuf 1900 das erste wirkliche Weitwinkelobjektiv, das «Hypergon». Trotz Bildwinkeln von sensationellen 130° war es durch die vollkommen symmetrische Konstruktion weitgehend verzeichnungsfrei, und das Bildfeld war geebnet. Hingegen waren die chromatischen Aberrationen überhaupt nicht korrigiert, und die Vignettierung war so extrem, dass man nur mit einer druckluftbetriebenen Wirbelblende zu brauchbaren Aufnahmen kam – aber erst bei Blendenzahlen von f32!

 

Trotz der gravierenden praktischen Nachteile waren etwa bei italienischen Denkmalpflege einzelne Hypergone bis in die 1970er Jahre hinein im Einsatz. Durch den symmetrischen Aufbau hatte Goertz den ersten wichtigen Bildfehler der «Superwides» bezwungen, die Verzeichnung. Völlig ungelöst blieb aber das Problem der Vignettierung.

 

 

DAS ZEISS TOPOGON

 

Das Hypergon - nach der Übernahme von Goerz mittlerweile bei Zeiss produziert - war für den alltäglichen Gebrauch und speziell für die aufkommende Luftbildfotografie zu unhandlich. Robert Richter entwickelte deshalb 1933 eine chromatisch korrigierte und mit f6.3 drastisch lichtstärkere Version, die allerdings auf nur 90° Bildwinkel limitiert war. Als «Topogon» vermarktet, wurde sie bald zum Standardobjektiv für die Luftbildfotografie.

 

Auch das «Topogon» litt unter extremer Vignettierung – notgedrungen, wie man glaubte: Schliesslich war es offensichtlich, dass die Blendenöffnung um so schmaler wurde, je mehr man sie von der Seite her beobachtete. Der Lichtfluss musste dadurch eingeschränkt sein; mathematisch ausgedrückt nahm die Beleuchtungsstärke mit dem Faktor «Cos4 des halben Bildwinkels» ab, wenn man von weiteren Faktoren wie Glasabsorption und -Reflektion absieht.

 

Zeiss fertigte bereits vor dem 2. Weltkrieg ein 25 mm 1:4.5 «Topogon» für die Contax. Nikon kopierte das Design praktisch unverändert für sein Nikkor 25 mm 1:4, während Canon es leicht asymmetrisch baute und als 25 mm 1:3.5 vermarktete. Die Präzision, mit der dieses Objektiv gefertigt werden musste, zeigt sich darin, dass die beiden Linsen des Topogon 6.3/75 mm im Scheitelpunkt nur 20 µm voneinander entfernt waren (d. h. 1/5 Haardicke).

 

Zeiss FS144 VorlaeuferQuerschnitt

 

Zeiss FS144 RussarQuerschnitt

ROOSINOV UND DIE KORREKTUR DER VIGNETTIERUNG

 

Bis 1946 galt es den Optikern als unumstössliches Gesetz, dass die Beleuchtungsstärke mit zunehmendem Bildwinkel dramatisch abnimmt. Das Entstehen dieser sogenannten «natürliche Vignettierung» (im Gegensatz zu einer Vigettierung durch die Fassung) ist leicht nachvollziehbar, wenn man sich ein rundes Loch in einem Papier («Blende») zunächst genau von vorne und dann unter zunehmend seitlicherem Winkel ansieht: Die frontal kreisrunde Blende wirkt immer elliptischer (und damit auch kleiner), je weiter seitlich man sie betrachtet.

 

Der Zeiss-Chefoptiker Wandersleb hatte ein ganzes Buch über die Unüberwindbarkeit dieses Problems geschrieben – aber auch bedeutende Leute können irren: Der sowjetische Mathematiker und Optiker Michael Roosinov legte in einem bahnbrechenden Patent von 1946 einen Weg dar, um die «unvermeidliche» natürliche Vignettierung drastisch zu reduzieren. Mittels zweier symmetrischer, stark negativer Menisken, die das eigentliche Objektiv «einrahmten», konnte er die Eintrittspupille bei seitlichen Winkeln so vergrössern, dass die natürliche Vignettierung weitgehend behoben wurde: Selbst stark seitlich betrachtet scheint die Blendenöffnung rund zu bleiben! Diese Erkenntnis löste eine Revolution bei der Entwicklung von Weitwinkeln aus.

 

BERTELE'S WEITWINKEL-SONNAR: DAS ZEISS BIOGON 35 MM 1:2.8


Zusammen mit dem legendären «Olympia-Sonnar» 18 cm 1:2.8 rechnete Bertele 1936 ein weiteres Objektiv, das bald von Kleinbildfotografen rund um die Welt in höchsten Tönen gelobt wurde: das «Biogon» 3.5 cm 1:2.8. Bertele ging dabei von seinem «Sonnar» 5 cm 1:1.5 aus. Um den Bildwinkel auf 65° zu erhöhen, vergrösserte er das Hinterelement drastisch (siehe Abbildungen unten).

Zeiss Biogon 35 mm f28


Dadurch bekam er die Fassungsvignettierung in Griff, und die bekannt hervorragende Abbildungsleistung der «Sonnare» blieb voll erhalten. Interessanterweise hatte Bertele damit bereits 1936 Roosinovs Erkenntisse vorweggenommen: Die letzte negative (d. h. verkleinernd wirkende) Linse führte dazu, dass die Blendenöffnung auch von der Seite her betrachtet relativ rund wirkte. Genau dies war das Schlüsselelement, das zu einer Reduktion der «natürlichen» Vignettierung führte.

 


 

BERTELE BEI WILD HEERBRUGG: DIE AVIOGONE

 

Bereits vor Ende des 2. Weltkrieges trennte sich Bertele von Zeiss, übersiedelte 1943 nach München und dann 1946 in die Schweiz. Zeiss hatte ihm nie die Anerkennung zukommen lassen, die ihm aufgrund seines Könnens und seiner Bedeutung eigentlich zukam; selbst die gewünschte feste Anstellung war ihm versagt geblieben. Bei Wild Heerbrugg begann Bertele an einer Serie von Weitwinkeln für die Luftbildfotografie zu arbeiten, die Anfang der 1950er Jahre die Grundlage für den weltweiten Erfolg der Schweizer Luftbildkameras legten.

 

Nach einigen Umwegen nahm Bertele im Wesentlichen die hintere Hälfte seines 2.8/35 mm «Biogons» von 1936, verdoppelte sie zu einem (fast) symmetrischen Objektiv und integrierte Roosinovs Erkenntnisse, indem er negative Menisken zur Korrektur der Vignettierung davorsetzte. Im Gegensatz zu Roosinov, der einen einzelnen stark gespannten Meniskus gebraucht hatte, verteilte Bertele dessen Brechkraft auf zwei oder gar drei einzelne Linsen, die teils aus Gläsern mit niedriger Dispersion geschliffen wurden. Dadurch wurden erstens Roosinovs Patent umgangen. Zweitens wurden aber auch die sphärischen und chromatischen Aberrationen reduziert.

 

Damit brachte Bertele die Gesamtleistung auf Werte, die für ein Fotoobjektiv auch heute noch traumhaft sind: Die «Aviogone» zeichnen bei 90° oder 120° Bildwinkel ein Format von ca. 18x18 cm aus – dies bei einer Auflösung von 100 Lp/mm in den Ecken und 250 Lp/mm im Bildzentrum, wohlgemerkt bei Offenblende. Zudem, extrem wichtig für die Luftbildfotografie, waren die Aviogone praktisch verzeichnungsfrei: Kein Bildpunkt auf dem Negativ wich mehr als 10 µm vom Sollwert ab. Man vergleiche diese Werte mit dem Sensor der A900, der in der Praxis rund 65 Lp/mm auflöst! Ein mit dem «Aviogon» aufgenommenes Luftbild enthält rund die 200fache Informationsmenge einer perfekten A900-Aufnahme. Ein anderer Vergleich: Das Sony/Zeiss ZA 2.8/16-35 mm verzeichnet fast 1000fach stärker als das Aviogon...

 

Ab 1958 entwickelte Bertele seine Aviogone zum «Super-Aviogon» weiter. Dieses Objektiv festigte die weltweit führende Stellung der Schweizer Photogrammetrie. Interessanterweise übernahm Wild Heerbrugg später den Zeiss-Konkurrenten Leica­­.

 

 

 

DAS ZEISS BIOGON 21 MM 1:4.5

 

Es ist klar, dass das «Aviogon» den ehemaligen Vorgesetzten von Bertele bei Zeiss nicht verborgen bleiben konnte. Bertele rechnete praktisch zeitgleich eine vereinfachte Variante des «Aviogons» für die neu konstruierte Messucher-Contax, die unter der Bezeichnung «IIA» bzw. «IIIA» ab 1951 in Stuttgart bei Zeiss in Stuttgart produziert wurde. Das neue «Biogon» war der erste Superweitwinkel für die allgemeine Fotografie.

 

90° Bildwinkel

 

Angemeldet am 5. Juli 1951 beim Schweizer Patentamt, wurde das «Biogon» 21 mm 1.4.5 bald zum Wegbereiter einer neuen Art des Fotografierens. Detailauflösung (250 Lp/mm), Kontrastübertragung und Verzeichnungsfreiheit (0.4%) übertreffen alle heutigen SLR-Superweitwinkel. Gesamthaft wurden knapp 15’000 Exemplare gebaut. Praktisch identisch aufgebaute «Biogone» wurden auch für das Mittelformat (Hasselblad, 4.5/38 mm) und das Grossformat (Linhof, 75 mm Brennweite) gebaut.

 

Alle Biogone wurden in der bekannten Zeiss-Qualität gefertigt – so sind die Fassungen innen goldbeschichtet, damit die einzelnen Linsen bei kleinsten Toleranzen reibungsfrei in die Fassung gleiten können!

 

120° Bildwinkel

 

1952 erweiterte Bertele sein Biogon-Design auf einen Bildwinkel von sage und schreibe 120° bei einer Lichtstärke von 1:6.3. Der Prototyp war mit einer Fluoritlinse zur Reduktion der chromatischen Aberrationen ausgestattet. Leider kam dieses Biogon nie auf den Markt.

Zeiss FS144 BiogonQuerschnitte

 


Zeiss Biogon MosognoWald

Oben: Weite Winkel um 90° sind aus der Landschafts-Photographie nicht mehr wegzudenken. Spätherbstliche Alplandschaft im Valle Onsernone (Tessin, Schweiz)

 

KOPIEN UND WEITERENTWICKLUNGEN

«Wie üblich» möchte man fast sagen: Natürlich wurden auch Bertele’s Superweitwinkel weltweit von den Mitbewerbern imitiert. Das simple Kopieren war diesmal etwas schwieriger, weil die «Aviogone» und die neuen «90°-Biogone» erst nach dem zweiten Weltkrieg entwickelt worden waren. Schneider Kreuznach rechnete nach Auslaufen der Patente Roosinovs um 1955 eine vereinfachte Variante des Biogons mit nur je einer Zerstreuungslinse an Front- und Rückseite. Dieses «Super-Angulon» wurde sowohl für das Grossformat als auch für die Leica M in verschiedenen Varianten gebaut. Erst kürzlich brachte Leica mit dem neuen 3.4/21 mm ein modernes Objektiv dieses Typs auf den Markt.

Aber auch Zeiss liess es sich nicht nehmen, das ursprüngliche «Biogon» von Bertele weiter zu entwickeln. Biogone waren auf dem Mond, und allein für das Leica-M-Bajonett baut Zeiss nach wie vor eine ganze Reihe von leistungsstarken Biogonen.

Für Spiegelreflexkameras eignen sich die Biogone prinzipienbedingt nicht, denn als symmetrische Konstruktionen mit kurzen Brennweiten würden ihre Hinterlinsen mit dem Spiegel kollidieren. Eine Zeitlang wurden Biogon-Klone aber dennoch für SLRs produziert: Zwischen 1955 und ca. 1970 musste man bei SLRs den Spiegel hochklappen und einen separaten Sucher verwenden, wollte man Superweitwinkel-Aufnahmen machen. Alle namhaften Hersteller hatten entsprechende Objektive im Programm - so auch Minolta, dessen «Rokkor» 4.5/21 mm eine praktisch getreue Kopie des urspünglichen Zeiss «Biogon» 4.5/21 mm ist ...

Ludwig Bertele wurde 1959 für seine bahnbrechenden Objektivkonstruktionen – die Ernostare, die vielen Sonnare, die Biogone und die Aviogone – von der ETH Zürich mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet, eine Anerkennung, die er sehr schätzte. Er verstarb im hohen Alter 1985 in Wildhaus SG.

INTRO

"... a remarkable lens, superb close up results and wonderful colour rendering, considering that Zeiss produced this lens in 1933, which makes it 78 years of age, and still a great performer. Leica optics were well behind Zeiss at this date and Leitz's fastest lenses - the F2 Summar and F2.5 Hektor - couldn't compete with Bertele's F1.5 Sonnar in the performance stakes. Leitz couldn't compete with a fast 5cm lens of at least f1.5 until 30 years later with the 2nd version of the f1.4 Summilux in 1966. Their 1935 Xenon produced to give Leica users a competitive lens fell well short of the mark and couldn't touch the Sonnar." (Pan F - rangefinderforum.com)

Das von Jakob Bertele gerechnete Zeiss Sonnar 5cm 1:1.5 (1932) ist sicherlich eines der wichtigsten Kleinbild-Objektive überhaupt. Während rund fünfzehn Jahren galt das über mehrere Zwischenschritte aus dem klassischen Triplett abgeleitete Objektiv als das schärfste und gleichzeitig lichtstärkste Kleinbild-Objektiv. In der Regel an der von Küppenbender konstruierten Messsucher-Contax eingesetzt, wurde das Objektiv in kleinen Serien auch für die Leica produziert, die als handlichere und leisere der beiden deutschen Messsucher-Kameras galt.

 

Zeiss Sonnar 5cm f15 ContaxRF - Leica LTM

Links ein sehr seltenes ziviles 5cm 1:1.5 mit T-Vergütung.

 

Dieses Objektiv war an einer Contax III mit experimentellem Verschluss, vermutlich aus der Übergangsphase kurz nach dem zweiten Weltkrieg, montiert und wurde von einem alteingesessenen Contax-Händler in Olten gekauft. (Untersuchung, Datierung, und Restauration von Kamera und Objektiv durch  Henry Scherer, Suisun City, CA)

 

Rechts ein ebenfalls seltenes 5cm 1:1.5 mit Leica-Schraubgewinde in der Variante mit schwarzem Frontring von 1941.

 

Das Objektiv wurde von einer Zürcher Witwe zusammen mit einer Leica IIIc von 1941 an ein bekanntes Zürcher Fotogeschäft verkauft, von wo ich es erwerben konnte. Man beachte die violett-bräunlich schimmernde Zeiss-T-Vergütung, die sich von der bläulichen Vergütung der sowjetischen Zeiss-Kopien unterscheidet.

 

 

 

EINIGE BEMERKUNGEN ZUR LICHTSTÄRKE

Scharfzeichnende Objektive hatten um 1850 eine Lichtstärke von ca. 1:20. Zusammen mit den damals verfügbaren Platten führte dies auch bei Tageslicht zu Belichtungszeiten von einigen Sekunden. Um 1900 hatte sich die Lichtstärke fotografischer Objektive zwischen 1:4.5 und 1:9 eingependelt, nicht zuletzt dank des Tessars von Zeiss.

Kräftige Impulse für die Entwicklung lichtstärkerer Objektive kamen um 1920 vom aufkommenden Tonfilm her: Die lauten und hellen Bogenlampen der Stummfilm-Studios mussten durch lautlose, aber deutlich leuchtschwächere Scheinwerfer ersetzt werden - was wiederum zur Entwicklung der ersten lichtstarken Kino-Objektive führte. Um 1920 kamen die ersten Objektive mit einer Lichtstärke von 1:2 auf den Markt, zehn Jahre später war man bei 1:1.5 angelangt: Die Reportage-Photographie bei gegebenem licht war möglich geworden. Zwischen 1940 und 1950 dann - als Folge des Krieges - erreichten militärische Objektive den Wert von 1:1.0; spezielle Objektive stiessen sogar gegen 1:0.7 vor (Satelliten-Objektive; Objektive für Aufnahmen vom Röntgenschirm).

Die Lichtstärke einer einfachen Linse ist definiert als Verhältnis von Linsendurchmesser zu Brennweite. Will man bei gegebener Brennweite die Lichtstärke erhöhen, muss man also den Linsendurchmesser vergrössern. Um die Brennweite konstant zu halten, muss man entweder die Linsen stärker krümmen ("gespannte Linsenradien") oder - bei belassenen Linsenradien - ein Glas mit höherer Brechkraft verwenden. Beide Wege haben in der Praxis ihre Tücken:

1) Stärker gekrümmte Linsen führen zu einer überproportionalen Verstärkung der sphärischen Aberration
2) Gläser mit höherer Brechkraft haben in der Regel auch eine stärkere chromatische Dispersion, d. h. sie führen zu stärkeren Farbsäumen

Zur Korrektion kann der Objektiv-Konstrukteur u. a. auf folgende Massnahmen zurückgreifen:

1) Verteilen der Brechkraft einer stark gespannten Linse auf zwei oder mehrere, weniger gespannte Linsen (Nachteil: Verstärkte Reflexneigung, höhere Kosten)
2) Verwendung von Glas mit höherer Brechkraft (Nachteil: verstärkte Dispersion/Farbsäume, höhere Kosten)
3) Asphärische Gläser (Nachteil: teils exorbitant hohe Kosten; erst ab ca. 1965 verfügbar)

 

VORGESCHICHTE UND VORLÄUFER

Zeiss Sonnar CookeTriplet to Sonnar

Bis auf den heutigen Tag können praktisch alle Festbrennweiten als Abkömmlinge des dreigliedrigen Triplets oder als Weiterentwicklung des viergliedrigen Planars verstanden werden. Vor dem Aufkommen der Vergütungen (1937, Smakula bei Zeiss) hatte das Triplett-Prinzip gewichtige praktische Vorteile, da es nur sechs Glas-Luft-Flächen hatte und somit zu einem sichtbar besseren Kontrast führte als die Planar-Abkömmlinge.

Das ursprüngliche Taylor-Triplett von 1893 kam mit einer Öffnung von 1:3.5 an seine Grenzen - selbst wenn man sich auf einen Bildwinkel von nur 15° beschränkte. Charles Minor rechnete 1916 eine deutlich lichtstärkere Variante des Triplets, indem er die Brechkraft der vorderen Linse auf zwei Linsen verteilte und damit die sphärischen Aberrationen deutlich reduzierte (Gundlach Ultrastigmat 1:1.9). Allerdings hatte dieses Objektiv nun ebenfalls acht Glas-Luft-Flächen, was zu vermindertem Kontrast führte.

Jakob Bertele verfeinerte 1923 als 23jähriger bei Ernemann in Dresden den Grundlach'schen Ultrastigmaten weiter. Er ersetzte zunächst die vordere, dann die hintere der beiden positiven Menisken des Ultrastigmaten durch ein verkittetes Dreierglied und erhielt damit sein erstes Meisterwerk: Das Ernostar. Zunächst als 10cm 1:2 produziert, folgte kurze Zeit später eine Variante mit 1:1.8.

Diese frühen lichtstarken Objektive  legten im Zusammenspiel mit der ebenfalls von Ernemann produzierten Ermanox-Kamera den Grundstein für die Reportage-Fotografie bei gegebenem Licht. Ein versuchsweise gebautes Ernostar mit der Lichtstärke 1:1.5 scheint nicht praxistauglich gewesen zu sein; jedenfalls verschwand es in der Versenkung. In der Patentliteratur findet sich 1925 eine weitere Variante des Ernostars, die den Weg zu den nachfolgenden Sonnaren der 1930er Jahre vorgibt. Wie beim ursprünglichen Ultrastigmaten ist die vordere, positive Linse des Triplets verdoppelt. Neu hat Bertele das hintere, ebenfalls positive Glied als nicht verkittetes Dublett ausgelegt.Diese Anordnung ist bereits recht nahe am Sonnar 5 cm 1:2, das ab 1932 als exzellentes Standardobjektiv zur Messsucher-Contax in Serie gehen sollte.

Ernemann wurde 1926 - zusammen mit anderen innovativen Dresdener Kamerabauern - von der übermächtigen Zeiss-Stiftung übernommen und zu Zeiss-IKON intergriert; der junge und überaus kreative Bertele arbeitete fortan somit für Zeiss.

 

DAS SONNAR 5cm 1:2

Das 1932 patentierte Sonnar 5cm 1:2 war eine geniale Weiterentwicklung der Ernostar-Variante von 1925: Bertele füllte die "Luftlinse" zwischen zweitem positivem Meniskus und dem stark negativen Mittel-Element mit einem niedrig brechenden und niedrig dispergierenden, fluoridhaltigen Glas. Bertele konnte damit zwei Fliegen auf einen Schlag erwischen: Erstens fielen zwei Glas-Luft-Flächen weg; mit nur sechs Glas-Luft-Flächen war der Kontrast des neuen Objektivs für eine lichtstarke Konstruktion ungewöhnlich gut. Zweitens konnte Bertele mit dem niedrig dispergierenden Fluorid-Glas die starken chromatischen Fehler der damaligen hochbrechenden Gläser ausgleichen, die er für das mittlere, negative Element verwendet hatte.

Das neue Sonnar war damit gut auf sphärische Aberrationen korrigiert, hatte einen hohen Kontrast und war praktisch frei von Farbquerfehlern. Diese Leistung verschaffte dem ursprünglichen Sonnar sofort eine herausragende Stellung unter den damaligen Objektiven, zumal es seine optimale Leistung bereits bei f5.6 erreichte und damit rund zwei Blenden früher als das Zeiss'sche Tessar 5 cm 1:2.8 oder das Leitzsche Elmar 5 cm 1:3.5.

 

DAS SONNAR 5cm 1:1.5

Praktisch gleichzeitig mit dem lichtschwächeren 1:2 wartete Zeiss bzw. Bertele mit dem Sonnar 5cm 1:1.5 auf, das rund fünfmal lichtstärker war als das Elmar 5cm 1:3.5 zur Schraub-Leica. Bertele musste mit den existierenden Glassorten die Linsenradien stärker spannen als bei der lichtschwächeren Variante; besonders augenfällig wird das an der fast halbkugelförmigen Linse aus hochbrechendem Glas, die im hinteren Triplett zur Korrektion von Koma eingefügt wurde. Durch dieses hintere Korrektionsglied erreichte das Sonnar 1:1.5 in den Randbereichen eine deutlich bessere Abbildungsleistung als der ebenso lichtstarke Ernostar-Prototyp 1:1.5 von 1924.

Notgedrungen waren die Restfehler bei voller Öffnung deutlich stärker ausgeprägt als beim lichtschwächeren Sonnar 5cm 1:2. Alles in allem waren die Fehler jedoch so ausbalanciert, so dass Bertele bei f1.5 dennoch eine ausgewogene und harmonische Bildzeichnung und -wirkung erzielte. Die charakteristischen Überstrahlungen von Spitzlichtern und die detailreiche, aber im Detailkontrast reduzierte Abbildung feiner Strukturen waren charakteristisch für die hochgeöffneten Sonnare.

Varianten

Bereits im Jahr 1933 fertigte Zeiss zwei verschiedene Sonnare (eines davon ein Prototyp) mit den Eckdaten 5cm 1:1.5. Beide Objektive hatten praktisch identische Querschnitte, aber leicht unterschiedliche Glassorten. 1937 folgten zwei weitere Prototypen, die allerdings nicht in Serie gingen: Der eine hatte eine zusätzliche freistehende achte Linse zur Korrektur der Verzeichnung, der zweite war eine vereinfachte Variante des genannten Achtlinsers, bei dem das hintere Dreierglied durch eine einzige, ähnlich geformte Linse ersetzt wurde.

1939 folgte ein weiterer Prototyp, der ebenfalls acht Linsen aufwies - allerdings in drei Gliedern; das letzte Glied bestand aus vier miteinander verkitteten Linsen. Die Lichtstärke dieses Sonnars war mit 1:1.4 marginal höher, die Abbildungsleistung etwas besser. Offenbar konnten die geringen Vorteile den Nachteil des verkitteten Vierergliedes, das ausserordentlich schwierig zu zentrieren war, nicht aufwiegen.

Als letzte Variante wurde nach dem Krieg bei Zeiss Oberkochen das Sonnar 50mm 1:1.5 gefertigt.

 

 

SONNARE AN DER LEICA ... UND HENRI CARTIER BRESSON

 

"Looking at these images, compared to the Leitz Xenon and even the coated Summarit that replaced it... Zeiss could have sold a lot of these lenses."(Brian Sweeney, moderator, rangefinderforum.com)

"Genuine Wartime Sonnars in Leica mount used the Leica standard Focal Length of ~51.6mm, and not the Contax standard ~52.4mm. Compared with a ZK Sonnar, this lens has a black line for the aperture index rather than a dot, and uses a small "m" for meters rather than a large "M". Not shown, the Zeiss lens also has hidden set screws for the rear module." (rangefinderforum.com)

Henri Cartier Bresson, der französische "Meister des Augenblicks", setzte ein Sonnar ein, das auf seine Leica adaptiert war: Das beste Objektiv an der besten Kamera ist man versucht zu sagen! Dies, obwohl die Leica in den 1930er Jahren eher Amateurstatus hatte, im Gegensatz zur professionelleren (und teureren) Contax. Überhaupt sind die Sonnare mit Leica-Schraubgewinde (Leica Thread Mount, LTM) von zahlreichen Legenden umwoben. Dies hat nicht zuletzt damit zu tun, dass Zeiss nur einige Kleinserien des Sonnars 5cm 1:1.5 mit Leica-Schraubgewinde fertigte - und dies in den an Irrungen und Wirrungen nicht gerade armen Kriegsjahren.

 

Zeiss Sonnar 5cm f15 Leica LTM

 

Originale Zeiss Sonnare mit Leica-Schraubgewinde sind selten und deswegen recht gesucht - sie werden deswegen häufig als plumpe Fälschungen angeboten: Russische Jupiter-LTM-Objektive werden mit dem Gravur-Ring eines originalen Contax-Sonnars versehen - und als "originale" Zeiss-LTM-Sonnare verkauft. Noch verworrener ist die Sachlage für den ersten Nachkriegsjahren, als die sowjetische Besatzungsmacht darauf bestand, die Contax-Fertigung unter Einbezug deutscher Fachkräfte und Materialien (Maschinen, Gläser, Rohlinge, mechanische Einzelteile) in der Sowjetunion wieder aufzubauen: Ist ein von Deutschen in der Sowjetunion mit originalen Zeiss-Gläsern gebautes Sonnar nun "echt" oder "gefälscht"?

So oder so - die Sachlage ist oft unklar, und präzise Informationen sind dürftig. Zumindest die genannten plumpen Fälschungen lassen sich relativ leicht identifizieren, unterscheiden sich doch die Gravuren ("M" statt "m", grösseres rotes Dreieck bei der Distanz-Skala) und die Vergütungen (bläulich statt violett) der sowjetischen Sonnar-Kopien von den Zeiss'schen Originalen.

 

QUELLEN

Henry Scherer: Restoration of historical Zeiss cameras

Marco Cavina: Zeiss Tipo Sonnar, ed il geniale filo conduttore che collega tutte le versioni del capolavoro di Ludwig Bertele

Frank Mechelhoff: Frühe lichtstarke Objektive für 35mm und andere Formate

Éric Beltrando: Dioptrique

Rangefinderforum: Experimental 1933 Sonnar 5cm 1:1.5 LTM

Rangefinderforum: Late wartime LTM Sonnar 5cm 1:1.5 on Leica M9