Die Minolta X-700 mit Motor / Handgriff und dem neu gerechneten, kleinen MD 50 mm 1:1.4. Rechts daneben die lichtstarken Weitwinkel MD 28 mm 1:2 und MD 35 mm 1:1.8, die beide ebenfalls neu gerechnet wurden und deutlich kleiner / leichter als ihre Vorgänger sind. Ganz rechts die Minolta-Zooms MD 75-200 mm 1:4.5 und MD 35-135 mm 1:3.5-4.5. Alle diese Optiken sind mit Ausnahme des Blendenringes vollständig in Metall gefasst; allerdings griff Minolta dabei ausschliesslich auf Aluminium-Legierungen zurück, um das Gewicht zu reduzieren. Dies hat zu Folge, dass das seidenweiche Fokussieren der MC-Objektive leider Vergangenheit ist ...
Vier Jahre nach dem Vorgängermodell XD kam 1981 die Minolta X-700 auf den Markt, die in Bezug auf Technik und Design stark auf der Minolta XG-M basierte. Als Reaktion auf Canons Erfolgskamera A-1 übernahm die X-700 ganz einfach deren Konzept: Programmautomatik, günstiger Tuch-Schlitzverschluss, ansetzbarer schneller Motor mit grossem Handgriff, TTL-Blitzmessung und umfangreiches System-Zubehör waren das Erfolgsrezept beider Kameras. Die X-700 verkaufte sich ausgezeichnet und blieb 18 Jahre im Programm. Die mit der X-700 gemachten Erfahrungen dürften die aufwändige Entwicklung der nachfolgenden Systemkameras Minolta 9000, 7000 und 5000 ermöglicht haben, deren voll integrierter Autofokus ab 1985 die Fotowelt revolutionierte. Zusammen mit der X-700 wurde auch das äussere Design der Objektive überarbeitet und an die Objektive von Canon angepasst. Zahlreiche teils hervorragende Zoom-Objektive, die teils auch für Leitz / Leica gefertigt wurden, ergänzten das System.
GEHÄUSE Das Gehäuse der X-700 ist in einer technisch interessanten Metall-Kunststoff-Sandwichbauweise gefertigt – haptisch überwiegt aber der Eindruck von „Plastik“. Die X-700 fühlt sich deutlich weniger wertig und solide an als das Vorgängermodell XD, deren Filmtransport und Auslöser deutlich geschmeidiger funktionieren. Koppelt man aber den Motordrive MD-1 an die X-700, so mutiert die unscheinbare Kunststoff-Kamera dank dem grossen Handgriff und dem Gewicht der Batterien gefühlsmässig plötzlich zum professionell einsetzbaren Werkzeug. Die X-700 mit Motor liegt ergonomisch perfekt in der Hand - gerade auch mit hochwertigen, schweren Optiken wie dem hier abgebildeten, damals neuen MD 2/135 mm. |
ELEKTRONIK / BELICHTUNGSMESSUNG
Die X-700 bot als erste Minolta-SLR eine voll ausgereifte Programm-Automatik. Dieser „Program-Mode“ führte zu einem wahren Verkaufsboom bei Spiegelreflex-Kameras. Erstmals konnte eine fotografisch unbedarfte Person eine hochwertige SLR nutzen, denn man musste weder Zeit noch Blende einstellen können – einzig das Fokussieren (und natürlich die Ausschnittwahl) verlangte noch nach dem Fotografen. Der touch switch (Berührungs-Schalter) aktivierte die Belichtungsmessung für 15 s, sobald man den Auslöser berührte. Die mittenbetonte Integralmessung basiert auf einer einzelnen Silizium-Zelle. Während Leica und Canon die Spotmessung propagierten, versuchte Minolta, m it der Belichtungs-Kompensation (+/- 2 EV) und dem neu eingeführten Messwertspeicher (automatic exposure lock AEL) die Nachteile der Integralmessung zu kompensieren. Mit etwas Übung funktionierte das in der Praxis auch bei kritischen Diapositiven recht gut. Leider ist die manuelle Nachführmessung der X-700 nicht sehr sinnvoll ausgelegt: Es wird nur die vorgewählte Belichtungszeit angezeigt, nicht aber die gemessene. Eine wirkliche Nachführmessung wurde erst in der X-500 realisiert, die an sich als "Economy"-Modell gedacht war, aber in manchen fotografisch sinnvollen Belangen der X-700 überlegen ist.
SUCHER / SPIEGEL / MATTSCHEIBEN
Im Gegensatz zu den meisten anderen damaligen Spitzenkameras (Canon F-1 New, Nikon F-3 und Pentax LX) hatte die X-700 keinen Wechselsucher; Minoltas professionelle XM war ja 1980 ohne adäquaten Ersatz ausgelaufen. Das Sucherbild der X-700, das 95% der Bildfläche zeigt, ist mit einer Vergrösserung von 0.9x wesentlich grösser und zugleich heller als der viel gelobte Sucher der Sony α900, der „nur“ 0.75x vergrössert. Blende und angesteuerte Verschlusszeit werden im Sucher angezeigt, ebenso der gewählte Programm-Modus (P, A, oder M) und die Blitzbereitschaft. Für die X-700 war eine ganze Reihe von Mattscheiben mit Gitter- und Messlinien, verschiedenen Schnittbild-Indikatoren, Mikroprismen und Klarfleck-Fokussierung erhältlich. Alle basierten auf der für die XD entwickelten „Acute Matte“-Technologie. Die X-700 bietet wie die meisten manuell fokussierten Minoltas keine Spiegelvorauslösung; einzig die XM und ein Teil der SR-/SR-T-Reihe waren mit diesem nützlichen Feature ausgestattet. Ein Abblend-Hebel ermöglicht die Kontrolle der Schärfentiefe.
VERSCHLUSS
Im Gegensatz zum Vorgängermodell XD hatte die X-700 (wie übrigens auch Canons A-1) keinen Metall-Lamellenverschluss, sondern einen preisgünstigen Tuch-Schlitzverschluss. Er ist elektronisch kontrolliert (4 s – 1/1000 s), hat keine mechanische Notzeit mehr, und die Blitz-Synchronisationszeit ist auf magere 1/60 s limitiert. Dadurch ist Aufhellblitzen tagsüber bei offener Blende praktisch unmöglich, was die Verwendbarkeit deutlich einschränkt. Mehrfachbelichtungen waren bei der X-700 – im Gegensatz zur Minolta XE – nicht vorgesehen.
TTL-BLITZGERÄTE
Zur X-700 wurde eine neue Reihe von Systemblitzen vorgestellt, welche – sechs Jahre nach dem Pionier Olympus! – die Blitzbelichtung durch das Objektiv messen konnten („TTL-Blitzen“). Im Prinzip wurde dazu einfach die Blitz-Messzelle von der Vorderseite des Blitzgerätes in den Spiegelkasten der Kamera hinein verlegt. Die TTL-Blitzbelichtung der X-700 war noch nicht wirklich ausgereift: Als einzig mögliche Synchronisationszeit wird automatisch und zwangsweise (selbst im manuellen Modus!) die 1/60s eingespielt. In dunkler Umgebung führt das zu den bekannt „totgeblitzen“ Bildern, und beim Aufhellblitzen ist eine komplette Überbelichtung durch Umgebungslicht zu befürchten. Obwohl bereits 1983 bei der nachfolgenden X-500 behoben, hielt Minolta es trotz 19 Jahren Produktionszeit nie für nötig, diesen Fehler auch bei der Spitzenkamera auszumerzen. Durch Auftrennen einer Leiterbahn und Verlöten zweier anderer lässt sich die X-700 für längere Synchronisationszeiten als 1/60 s umbauen. Informationen zur Modifikation der X-700 finden sich im Internet.
ZUBEHÖR - "MINOLTA PROGRAM SYSTEM" MPS
Erstmals bei Minolta wurde zur X-700 ein ansetzbarer Motor (MD-1) geliefert, der bis zu 3.5 Bilder pro Sekunde schafft. Jedem, der die X-700 heute nutzt, sei dieses Zubehör wärmstens empfohlen: Die Haptik der X-700 verbessert sich damit so dramatisch, dass keine andere (D)SLR von Minolta oder Sony mithalten kann – zumindest bei Aufnahmen im Querformat.
Auch ein einfacher Autowinder (2 B/s) war zur X-700 lieferbar. Ein „Quartz Data Back“ fehlte ebenso wenig wie ein Winder. Die Multifunktions-Rückwand erlaubte unbemanntes Fotografieren in Intervallen von 1s bis zu 60 h, und für die Naturfotografie gab es den drahlosen IR-Controller. Makrozubehör wie Balgengeräte, Lupenobjektive, Zwischenringe und Achromaten vervollständigten das System. Mechanisch eine Fehlkonstruktion ist hingegen „Power Grip“. Eigentlich wäre er ein ideales Zubehör, um die Blitzfolgezeiten drastisch zu reduzieren und die Gewichtsverteilung von Blitz und Kamera zu verbessern. Da der „Grip“ aber mit nur einer einzigen Schraube und ohne jegliche Kontaktstifte (!) am Kameramotor befestigt ist, verdreht er sich unweigerlich innert kürzester Zeit - ein typisches Beispiel, wie Minolta es schaffte, mit einem einzigen unbedachten Fehler ein sinnvolles Gerät komplett „auszubremsen“.
OBJEKTIVE
Mit der Einführung der X-700 wurde auch das Design der Objektive erneuert, obwohl zunächst keine neuen Steuerelemente hinzukamen. Diese so genannten MD-III-Objektive haben einen typischen, fein strukturierten Gummiwaffelring, der sich an Canons Design der FD-Objektive anlehnte. Zudem konnte der Blendenring bei der kleinsten, grün hinterlegten Blende verriegelt werden. Zusätzlich wurde die ursprünglich grüne foot-Skala aufgrund langjähriger Kritiken aus den USA auf ein besser sichtbares Orange umgestellt. Einige wenige Objektive wurden ab 1983 mit einem zusätzlichen Steuernocken versehen, der für die korrekte Anwahl der Fokus-Sensoren der X-600 verantwortlich war. „Fokus-Sensor“ und „X-600“ …? Richtig – für kurze Zeit wurde in Japan eine modifizierte X-300 ausgeliefert, die zwei AF-Sensoren und eine LED zur Fokus-Bestätigung hatte; ein AF-Motor fehlte allerdings. Die X-600 – weder Fisch noch Vogel – ist heute ein gesuchtes Sammlerstück.
Die MD-III-Objektive stossen in Sammlerkreisen auf deutlich weniger Resonanz als die MC-X- oder die frühen MD-I-Objektive, obwohl selbst die gängigen „Renner“ aus der Zeit der X-700 (MD 2.8/28 mm, MD 2.8/35 mm, MD 1.7/50mm, MD 2.8/135 mm usw.) praktisch vollständig in Metall gefasst sind. Das liegt vor allem daran, dass die Schneckengänge der MD-II- und MD-III-Objektive nicht mehr in der idealen Metallkombination von „Messing auf Aluminium“ gefertigt waren. Das Leica-typische seidenweiche Fokussieren, das die MC-Objektive (und teils auch die frühen MD-Linsen) kennzeichnet, sucht man bei den Objektiven zur X-700 vergeblich.
Da viele hochwertige MD-III-Objektive zudem einen doppelten Schneckengang haben (z. B. MD 2.8/20mm, MD 2.8/24mm, MD 2/28mm, MD 4/100 mm Macro, MD 2/135mm und MD 2.8/200mm), akzentuiert sich das Problem ausgerechnet bei optisch exzellenten Objektiven. Einige der neu „kleingerechneten“ Objektive (MD 2.8/16 mm Fisheye, MD 2.8/20 mm, MD 2.8/24mm, und MD 1.7/50 mm) bringen angeblich etwas weniger Leistung als ihre zehn Jahre älteren Vorgänger, aber Klassiker wie das 2.8/28 mm, 2.8/35 mm und 2/50 mm sowie die neu gerechneten 2/28 mm, 1.8/35 mm, 2/135mm, 2.8/135 mm und 4/200 mm gelten auch in der MD-III-Version als hervorragende Festbrennweiten. MD-Objektive wie das 2/85 mm und 4/100 mm bringen gegenüber den Vorgängermodellen eine eher bessere Schärfe, ihr Bokeh ist aber leicht unruhiger.
Leider im Prototypen-Stadium verblieb das MD 2.8/300 mm APO: Ein entsprechendes Objektiv tauchte zusammen mit zahlreichen weiteren Spezialitäten 2006 in einer japanischen Versteigerung auf – ein trauriges Schicksal für ein Einzelstück, das eigentlich einen Platz im hauseigenen Museum des Herstellers verdient hätte.
In die Zeit der X-700 fällt auch der Durchbruch bei den Zoom-Optiken. Zum neu gerechneten und und als MD-III deutlich leistungsfähigeren Dauerbrenner MD 3.5/35-70 mm gesellten sich u. a. ein sehr leichtes MD 3.5/24-35 mm, die universellen 3.5-4.5/28-85 mm (später auch als AF geliefert), 3.5/35-105 mm und 3.5-4.5/35-135 mm sowie die Telezooms 4/75-150 mm, 4/70-210 mm und 5.6/100-300 mm.
Neu gerechnete MD-III Objektive
• MD 2.8/24 mm [8/8]
• MD 2/28 mm [9/9]
• MD 2.8/28 mm [5/5]
• MD 2/135 mm [6/5]
• MD 2.8/300 mm APO (Prototyp)
• MD 4/24-35 mm [10/10]
• MD 3.5/28-50 mm (Prototyp)
• MD 3.5/35-70 mm (angepasste Rechnung mit deutlich besserer Abbildungsleistung und Makro-Stellung)
• MD 3.5-4.5/28-85 mm (gleiche optische Rechnung wie AF 3.5-4.5/28-85 mm)
• MD 3.5-4.5/35-105 mm [16/13]
• MD 3.5-4.5/35-105 mm [14/12] (gleiche optische Rechnung wie AF 3.5-4.5/35-105 mm)
• MD 4/70-210 mm [12/9] (gleiche optische Rechnung wie AF 4/70-210 mm)
• MD 4.5/75-150 mm [12/8]
• MD 5.6/100-300 mm [13/10]
ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK
Die X-700 dominierte in den frühen 1980er-Jahren zusammen mit Canons A-1 den gehobenen SLR-Markt, ohne aber ins professionelle Segment wirklich eindringen zu können oder zu wollen. Die Vermutung, dass der Erfolg der X-700 die Mittel zur Konstruktion und Einführung des ersten AF-Spiegelreflex-Systems freisetzte, ist nicht von der Hand zu weisen.