Zeiss Sonnar contaxRF dsc03042

Die klassischen Sonnare zur klassischen Contax: hinten links das "Olympia-Sonnar" 18 cm f2.8, davor die Contax II mit dem unvergüteten Sonnar 5 cm f2. In der Mitte eine Contax III aus der Zeit kurz nach Ende des zweiten Welkrieges, von Henry Scherer liebevoll restauriert. Das Sonnar 5 cm 1:1.5 ist ein vergütetes Exemplar aus dem Zweiten Weltkrieg in der sehr seltenen zivilen Variante, die sich bis f22 abblenden liess. Rechts davon das Sonnar 13.5cm 1:4, und ganz rechts das Sonnar 85mm 1:2 in der überarbeiteten Nachkriegs-Rechnung aus Oberkochen.

 

Zeiss hatte 1902 mit dem «Tessar» ein Objektiv auf den Markt gebracht, das erstmals alle fünf monochromatischen Abbildungsfehler sinnvoll korrigierte und damit bald zum Standard für das damals vorherrschende Grossformat wurde. Ab 1920 trat zunehmend Lichtstärke als neues Konstruktionsziel in den Vordergrund – gepaart mit höherer Auflösung für das gerade aufkommende Kleinbild. 1923 kam die erste lichtstarke Mittelformat-Kamera für den modernen Fotojournalismus auf den Markt, die «Ermanox». 1925 folgte Leitz mit der winzigen «Leica», die zum Wegbereiter des Kleinbild-Formates wurde.

Der grosse Kamerahersteller Zeiss verpasste diese Entwicklung, setzte aber ab 1932 mit der luxuriösen «Contax» einen neuen Markstein. Die neuen Optiken zur Contax – die «Sonnare» und «Biogone» – waren gleichzeitig die lichtstärksten und schärfsten Foto-Objektive des Weltmarktes. Es dauerte rund zwanzig Jahre, bis andere Hersteller dieses Niveau erreichten – und selbst das nur deswegen, weil als Folge des zweiten Weltkrieges alle Zeiss-Objektive patentfrei nachgebaut werden durften.

Schlüsselfigur bei der Entwicklung aller dieser Objektive war der junge Objektivkonstrukteur Ludwig Bertele. Seine Lösungsansätze wurden nach dem zweiten Weltkrieg von allen namhaften deutschen, russischen und japanischen Herstellern kopiert. Leitz, Canon, Nikon, Minolta, Pentax und andere hätten ihre lichtstarken Optiken nie ohne die wegweisenden Entwicklungen von Zeiss realisieren können.

 

 

DIE VORLÄUFER: COOKE TRIPLET UND ERNOSTAR

Das von Taylor gerechnete «Cooke Triplet» (1893) war nach dem Zeiss «Protar» (1890) der zweite Anastigmat des Weltmarktes. Bei einem beschränkten Bildwinkel (ca. 15°) und mässiger Lichtstärke (ca. f4) wurden mit dem Triplet durchaus vorzeigbare Ergebnisse erzielt. Charles Minor rechnete 1916 eine lichtstärkere Variante («Ultrastigmat», f1.9) für den Kinofilm. Um die sphärischen Aberrationen zu reduzieren, verteilte er die Brechkraft der vorderen Sammellinse auf zwei Linsen. Der erst 23jährige Objektivkonstrukteur Ludwig Bertele griff 1923 bei Ernemann in Dresden dieses Prinzip auf und entwickelte daraus die ersten praxistauglichen Foto-Objektive mit einer Lichtstärke von («Ernostar», 10 cm f2).

In den Händen des weltgewandten Photojournalisten Erich Salomon wurde die «Ermanox» genannte Mittelformat-Kamera zum Wegbereiter des modernen Fotojournalismus. Diskret – oder eben indiskret! – dokumentierte Salomon das politische Geschehen kurz nach Ende des ersten Weltkriegs. Überliefert ist das Bonmot des französischen Premiers Aristide Briand: «Für eine internationale Konferenz braucht es nur drei Dinge: Ein paar Aussenminister, einen Tisch – und Salomon!». Salomon wurde aufgrund seiner jüdischen Herkunft am 7. Juli 1944 von den Nazis in Auschwitz ermordet. Seine Bilder sind aber bis heute lebendig: Erstmals war Fotografie bei gegebenem Licht möglich geworden – an Konferenzen, im Theater und sogar nachts!

 

LEICA UND CONTAX - DIE UNGLEICHEN SCHWESTERN

1925 revolutionierte Leitz mit der elegant durchdachten «Leica» das Fotografieren. Das schlichte, minimalistische Design – «form follows function» – verhalf dem Kleinbild bald zum Durchbruch. Die «Leica II» wurde ab 1930 ein Grosserfolg, nachdem Leitz Wechseloptiken anbot. Der kleine Mikroskopbauer Leitz erwischte den selbstbewussten Kamerahersteller Zeiss auf dem linken Fuss: Zeiss hatte schlicht nichts Gleichwertiges anzubieten. Zeiss kaufte 1926 vier kleinere Dresdener Kamerahersteller auf – darunter den innovativen Ernemann – und entwickelte eine Kleinbildkamera, in in jeder Beziehung besser als die Leica sein sollte: die «Contax».

Die Contax war innovativ, anspruchsvoll, edel, luxuriös. Mit dem «Sonnar» 1.5/50 mm ausgestattet, kostete sie soviel wie ein halbes Kilogramm Gold – dreimal mehr als eine «Leica», bei der das lichtschwache Elmar 3.5/50 mm immer noch der Standard war. Problematisch war, dass Leitz viele naheliegende Lösungswege patentiert hatte; Zeiss musste auf komplizierte Ausweichlösungen zurückgreifen. Die erste «Contax» (1932) galt als unzuverlässig, und erst die überarbeiteten «Contax II» und «Contax III» (1936) wurden zu professionellen Arbeitspferden.

Die «Contax III» hatte als erste Kleinbild-Kamera überhaupt einen eingebauten Belichtungsmesser. Die feine Belederung wurde aufwändig in Eichenholz-Extrakten gegerbt und mit feinstem Schelllack auf das edel verchromte Metallgehäuse aufgespannt. Ihr unverwüstlicher schwarzer Lack widersteht allen gängigen Lösungsmitteln: Er besteht aus baltischem Bernstein, der in siedendem Öl aufgelöst wurde. Die Verschlussbänder der Contax sind aus feinster japanischer Seide gewoben. Nur so konnte man einen zuverlässigen Ablauf der 1/1250 s gewährleisten.

 

DAS ZEISS SONNAR

Wirklich bahnbrechend waren aber die Objektive zu Contax. 1931 fand Bertele – inzwischen bei Zeiss – zu einer bestechend wirkungsvollen Modifikation des ursprünglichen «Ernostar»-Prinzips: Er füllte die sogenannte Luftlinse zwischen zweitem und drittem Element mit einem niedrig dispergierenden Fluorid-Glas. Damit waren zwei Glas-Luft-Flächen verschwunden, was den Kontrast deutlich erhöhte. Durch die niedrige Dispersion ermöglichte dieses Glaselement gleichzeitig eine wirkungsvolle Korrektur der Farbfehler. Das «Sonnar» (von «Sonne») war geboren.

Alle ursprünglichen Sonnare waren aus nur drei Gliedern aufgebaut, hatten aber bis zu acht Linsen. Da vor 1936 keine Vergütungen existierten, bedeutete dies einen sichtbaren Kontrastvorteil gegenüber der Konkurrenz. Zudem erreichten die Sonnare ihre optimale Detailschärfe bereits bei f5.6. Für die nächsten zwei Jahrzehnte galten die Sonnare als die weltbesten Kleinbild-Objektive: Sie waren gleichzeitig lichtstärker, kontrastreicher und höher auflösend als alle andern Objektive. Kehrseite der Medaille war eine teure und aufwändige Montage. Die verkitteten Dreier-Glieder waren schwierig zu fertigen und noch schwieriger zu zentrieren, und die Spezialgläser machten wegen des hohen Schmelzpunktes Schwierigkeiten. Auch das Bokeh der frühen Sonnare war bei Offenblende eher kringelig und brachte damit Unruhe ins Bild.

 

Die klassischen «Sonnare» zur Contax

Zunächst kam 1931 das Sonnar 5 cm 1:2 auf den Markt. Dieses erste lichtstarke Kleinbild-Objektiv hatte bald einen besseren Ruf als das zwei Jahre später erschienene «Summar» 5 cm 1:2 von Leitz. Bereits 1932 folgte das Sonnar 5 cm 1:1.5, dem Leitz dann nichts mehr entgegenzusetzen hatte. Als erstes hochlichtstarkes Foto-Objektiv überhaupt war es eine Sensation. Da 1932 noch keine höchstbrechenden Sondergläser zur Verfügung standen, musste das Sonnar 1.5/50 mm auf recht stark gespannte Linsenradien zurückgreifen. Die deutlichen sphärischen Restfehler führen bei f1.5 zu einer charakteristischen Überstrahlung der Spitzlichter. Das Bild scheint dadurch von innen heraus zu leuchten („The Glow“, siehe Ausschnitt unten). Blendet man ab, verschwindet dieses Phänomen.

Ebenfalls 1932 rechnete Bertele das immer noch geschätze Sonnar 13.5 cm 1:4 sowie das Porträt-Sonnar 8.5 cm 1:2. Beide sind bereits bei Offenblende praktisch frei von sphärischen Aberrationen und störender Vignettierung, und ihr Kontrast ist Zeiss-typisch hoch. Zur Olympiade in Berlin (1936) konstruierte Bertele ein weiteres Sonnar, das Geschichte schrieb – das «Olympia-Sonnar» 18 cm 1:2.8. Möglicherweise als Kino-Objektiv für Leni Riefenstahls Propaganda-Filme entwickelt, ist die 1.3 kg schwere Optik der Urtyp aller lichtstarken Sport-Objektive. Mit der relativ langen Brennweite und der hohen Lichtstärke ermöglichte es erstmals das Einfrieren von schnellen Bewegungen und gewagten Sprüngen.

 

Das «Olympia-Sonnar» an der Sony α900

Für diesen Artikel haben wir ein historisches «Olympia-Sonnar» revidiert und es an die Sony α900 adaptiert. Zusammen mit dem notwendigen «Vertical Grip» liegt die massige Ausrüstung sehr ausgewogen in der Hand. Der leichtgängige Schneckengang – auch nach 60 Jahren ohne jegliches Spiel! – und die exzellente Sucherkonstruktion der α900 erlauben ein wesentlich präziseres Fokussieren als die modernen AF-Optiken. Dadurch geht gerade bei schnellen Motiven die Arbeit fühlbar flüssiger vonstatten, weil die Aufmerksamkeit des Fotografen nicht zwischen dem Fassen der Schärfe und der Ausschnittwahl «umschalten» muss. Diese Erkenntnis hat mich zunächst überrascht. Fakt ist, dass ich mit dem sechzigjährigen «Carl Zeiss Jena 18 cm 1:2.8» an einem Wochenende deutlich mehr gelungene Bilder erhalten habe als üblich.

Punkto Detailauflösung ist das «Olympia-Sonnar» etwas besser als das Minolta AF 2.8/80-200 mm APO. Bei Offenblende entsteht eine angenehm sanfte, aber gleichzeitig sehr detailreiche Zeichnung über das ganze Bildfeld. Spitzlichter überstrahlen auf eine charakteristische Weise. Abgeblendet auf f5.6 steigt der Mikrokontrast deutlich an, und das «Olympia-Sonnar» erreicht die Leistung des Sony 2.8/70-200 mm G.

 

Extreme Lichtstärken

In den Kriegsjahren lieferte Zeiss Objektive, deren Eckdaten auch heute noch erstaunen. Ein Sonnar mit Brennweite 70 mm und der schier unglaublichen Lichtstärke von 1:0.7 befindet sich im Kameramuseum von Johannesburg. Eine Kleinserie von 1.5/150 mm-Sonnaren wurde für Luftbildaufnahmen gefertigt, und dreihundert 1.4/400 mm wurden um 1944 gebaut, um die erwartete nächtliche alliierte Landung an der Atlantikküste rechtzeitig entdecken zu können.

 

KOPIEN UND WEITERENTWICKLUNGEN

Die Sonnare, deren Patentschutz durch den zweiten Weltkrieg verloren ging, wurden bald überall nachgebaut. Japanische Firmen – allen voran Canon und Nikon – hatten 1940 als Folge der Zusammenarbeit mit Nazi-Deutschland bereits die relevanten Patente erhalten. Beide Firmen kopierten die Sonnare zunächst praktisch unverändert. Anfangs der 1950er Jahre begannen die japanischen Firmen, ihre Sonnare zu verbessern, während Zeiss immer noch massiv unter den Nachkriegswirren im geteileten Deutschland litt. Canon baute ein «Serenar» 1.5/85 mm, Nikon brachte sein legendäres 2.5/105 mm auf den Markt, und Zunow steigerte die Lichtstärke des 50er Sonnars auf 1:1.1. Da sowohl Dresden als auch Jena in der russischen Besatzungszone lag, erzwang die russische Militärverwaltung ab 1945 von Zeiss die Herausgabe von Maschinen, Ersatzteilen und Fachkräften, um ab 1946/47 in Kiev (Ukraine) die wertvolle Contax als «Kiew» nachzubauen; die Sonnare wurden ebenfalls bis in die 1980er Jahre hinein nachgebaut. Zahlreiche 135 mm Objektive, darunter das exzellente Leitz «Tele-Elmar» 4/135mm, konnten ihre enge Verwandtschaft mit dem ursprünglichen Sonnar 4/135 mm von Bertele nicht leugnen. Auch die klassischen 2.8/180 mm Objektive von Leitz und Nikon waren schlicht leicht abgewandelte «Olympia-Sonnare».

 

AUSBLICK

Die zunehmende Verbreitung der Vergütung – ebenfalls eine Entwicklung von Zeiss – sowie die neuen Lanthan-Spezialgläser führten in den 1950er und 1960er Jahren dazu, dass die Sonnar-typischen, verkitteten Dreierglieder durch kostengünstigere Einzellinsen ersetzt werden konnten: Die Entwicklung ging damit bei mittellangen Brennweiten wieder zurück zum «Ernostar»-Typ. Einzig im Mittelformat-Bereich konnten sich die klassischen Sonnare teils halten («Hasselblad», «Pentacon Six»). Wegen der aufkommenden SLRs verlagerte sich die Entwicklung der Normalobjektive ab 1950 zunehmend hin zum «Planar»-Prinzip – ebenfalls eine klassische Zeiss-Konstruktion. Das ursprüngliche Sonnar ist somit weitgehend Geschichte - sein Einfluss auf die Konstruktion hochlichtstarker Brennweiten kann aber kaum überschätzt werden.