Minolta lieferte ab 1958 Spiegelreflexkameras - aber erst fünf Jahre später folgte das erste 28er in Retrofokus-Bauweise. Im untenstehenden Vergleich von elf Minolta 28mm Festbrennweiten (am 16MP APS-C-Sensor) zeigt sich, welche Leistungssteigerung innert 20 Jahren möglich war.
In den 1930er Jahren waren 28mm Brennweite das Non-Plus-Ultra an Kleibildkameras - entsprechend wurde diese Brennweite in den Katalogen und Prospekten als "Ultra-Weitwinkel" geführt. Leitz lieferte ein Hektor 6.3/28mm mit bescheidener Eckschärfe und hoher Vignettierung; Zeiss hatte es gar geschafft, das einfache Tessar auf 28mm hinab zu dehnen - bei ebenso bescheidener Lichtstärke. SLR-Objektive mit dieser Brennweite wurden erst denkbar, als Angénieux Anfang der 1950er Jahre in Umkehrung des Tele-Objektives die ersten Retrofokus-Konstruktionen schuf. Zeiss Oberkochen - für einmal nicht Vorreiter - sprang bald auf den Zug auf; die ab 1953 zunächst zur Hasselblad gelieferten Distagone galten bald als die besten SLR-Weitwinkel.
Es blieb aber unübersehbar, dass das neue Prinzip gewichtige Nachteile aufwies. Retrofokus-Objektive waren stark asymmetrisch, was die Korrektur von drei der fünf monochromatischen Bildfehler deutlich erschwert (Koma, Astigmatismus und Verzeichnung). Die ebenfalls Anfang der 1950er Jahre von Ludwig Bertele bei Wild Heerbrugg in derSchweiz gerechneten und an Zeiss lizensierten Biogone mit 90° Bildwinkel waren ungewöhnlich überzeugend ausgefallen. Es schien kaum vorstellbar, dass Retrofokus-Konstruktionen einmal dieses Niveau erreichen würden. In der Tat haben selbst die modernsten SLR-Superwides Mühe, mit gewissen Leistungen der 1950er-Biogone gleichzuziehen.
Ab 1963 war bei Minolta zusätzlich zum 4/35mm und 2.8/35mm auch ein erster 28mm-"Ultraweitwinkel" (so die frühen Broschüren) lieferbar: Hier die MC-I-Variante des W. Rokkor-SG 3.5/28mm von 1966, die optisch mit dem entsprechenden Auto-Rokkor 3.5/28mm von 1963 identisch sein dürfte. Die Testbilder zeigen deutlich die Grenzen der ersten Retrofokus-Konstruktionen auf. Und alle diese Bilder zeigen ja nur den "sweet spot" des APS-C-Formates - am Vollformat dürften die Testresultate noch deutlich schlechter ausfallen ...
Auch das nachfolgende, deutlich kleinere MC 3.5/28mm von 1968 konnte nicht überzeugen. Im Gegenteil: Die Randbereiche kommen sogar eher schwächer als bei der grösseren Vorgängerversion!
Es erstaunt, dass die gleiche optische Rechnung 1973 sogar in die ansonsten sehr gute MC-X-Reihe übernommen wurde, zumal Minolta schon 1968 ein wesentlich lichtstärkeres und in allen Belangen besseres MC 2.5/28mm vorgestellt hatte, das bei f2.5 mehr Details zeigt als dieses Objektiv bei f11! Dass es sich bei den hier gezeigten Objektiven um "Ausreisser" handeln könnte, halte ich für nahezu ausgeschlossen: Zu sehr ähneln sich die Testbilder der beiden (optisch identischen) MC-II und MC-X-Objektive ...
1968 stellte Minolta an der Photokina eine Reihe von lichtstarken, neu entwickelten Objektiven vor, die eine bemerkenswerte Steigerung der Abbildungsleistung und Lichtstärke versprachen (2.8/16 Fisheye, 2.8/21, 2.5/28, 1.8/35, 1.2/58, 1.7/85, 2.5/100, und 4/300). Alle diese Optiken machten Gebrauch von fünf neu im Hause Minolta erschmolzenen Sondergläser; zudem waren sie auf dem neuen, ebenfalls hauseigenen Grosscomputer gerechnet worden. Die Steigerung der Abbildungsleistung gegenüber den Vorgängermodellen ist in der Tat beeindruckend. Rechnet man die restlichen CAs heraus, hat man an der NEX-5N eine sehr brauchbare Optik.
ACHTUNG: alle Versionen des MC 2.5/28mm sind radioaktiv. Eine Linse im Hinterglied des Objektives enthält Thorium-Oxid. Die Strahlung bei entsprechenden Linsen von andern Herstellern ist beträchtlich, wenn man an der Glasoberfläche misst (Grössenordnung 10 mR/h = 100 R/Jahr!!). In ca. 1-2 m Abstand geht jedoch die Gammastrahlung im Hintergrund unter. Da die Isotope im Glas fest gebunden sind, ist auch die Inhalationsgefahr gleich null. Die thoriumhaltigen Gläser vergilben mit der Zeit; der entsprechende Farbstich (ca. 1000 K Unterschied) wurde bei der Rohdatenkonvertierung herausgerechnet!
Gleiche Optik wie oben - in einer neuen Fassung! Bei Offenblende eine leicht bessere Leistung, vermutlich schlicht aufgrund besserer Zentrierung.
Wiederum gleiche Optik wie oben, aber in MC-X-Fassung - und wiederum praktisch identische, sehr hohe Abbildungsleistung.
Nachdem um 1975 die thoriumhaltigen Gläser obsolet geworden waren, bringt Minolta einige Neurechnungen mit anerkannt guter Abbildungsleistung auf den Markt - so das neu vierlinsige MC 2.8/135mm und das neue MC 4/200mm. Bei den 28ern liefert Minolta gleich drei neue Konstruktionen, darunter erstmals eine Optik mit Lichtstärke 2.0 - die allerdings offensichtlich mit gewissen Kompromissen behaftet ist. Der gleichzeitige Verzicht auf die thoriumhaltigen Gläser und die höhere Lictstärke bei gleichbleibenden Abmessungen führt zu einer deutlichen Reduzierung der Abbildungsleistung (zumindest auf APS-C - wie sich die Optiken am Vollformat schlagen, bleibt abzuwarten).
Es bleibt vorderhand offen, ob der Randabfall "echt" ist oder ob einfach Bildfeldwölbung vorliegt. Das MC 2/28 mm hat als erstes 28er "Floating Elements", und die Justage der beiden gegeneinander beweglichen Ebenen bestimmt massgeblich die Bildfeldwölbung.
Gleichzeitig mit dem MC 2/28 mm kommt 1975 auch ein komplett neu gerechnetes MC 2.8/28 mm heraus, das aus sieben freistehenden Linsen aufgebaut ist. Die gleiche optische Rechnung wurde in grossen Stückzahlen auch in MC Celtic-, in MD-I, MD-II, MD-III und MD Celtic-Fassungen produziert.
Obwohl Minoltas siebenlinsiges 2.8/28mm einen sehr guten Ruf hat, kommt es nicht an die drei getestetet MC 2.5/28er heran. Das MC/MD 2.8/28 mm ist aber deutlich besser als die beiden siebenlinsigen 3.5/28er aus den 1960er Jahren, die bis Anfang 1975 im Programm waren. Abgeblendet ist das getestete MD 2.8/28 mm etwas besser als das MC 2/28 mm. Das siebenlinsige MC/MD 2.8/28 mm wurde bis ca. 1983 produziert; danach kam eine vereinfachte fünflinsige Variante zum Zug (siehe weiter unten).
Ebenfalls 1975 wurde auch das MC 3.5/28 mm neu gerechnet: Statt sieben Linsen reichten nun fünf, die Optik wurde kürzer und leichter - und dennoch wesentlich besser. Die Abbildungsleistung ist bei allen Blenden sichtbar besser als beim MC 2/28 mm, und sogar leicht besser als beim klassischen, siebelinsigen MD 2.8/28 mm. Besser als das fünflinsige MC 3.5/28 mm ist nur das MC 2.5/28 mm (dank thoriumhaltigen Gläsern!) und das neue MD 2/28 mm (Neunlinser, MD-III).
Beim MC 3.5/28 mmtreten aber im abgeblendeten Zustand deutliche CAs auf, die sichtlich stärker sind als diejenigen des sieben Jahre älteren MC 2.5/28 mm. Das thoriumhaltige, radioaktive Glas des 2.5/28 mm war offensichtlich nicht leicht zu ersetzen!
Die MD-II Variante des fünflinsigen 3.5/28 mm mit (fast?) derselben optischen Rechnung, aber leicht schwächerer Leistung. Ob das toleranzbedingte Abweichungen sind oder man beim deutlich leichteren MD-II eine andere Glassorte verwendete, bleibt vorderhand offen. Ich tippe eher auf eine angepasste Rechnung mit anderen Glassorten, da das ältere MC 3.5/28mm einen leichten Gelbstich hat (Hinweis auf ältere hochbrechende Gläser).
Weitgehend unbemerkt stellte Minolta die Produktion des damals wichtigen MD 2.8/28 mm auf eine fünlinsige Variante um, deren Leistungen an APS-C ein wenig hinter dem zuvor gelieferten Siebenlinser zurückbleiben. V. a. die chromatischen Aberrationen sind recht ausgeprägt. Aufgrund der optischen Querschnitte ist anzunehmen, dass diese Rechnung auch als AF-Variante produziert wurde: Das AF 2.8/28 mm ist in seinen Gesamtleistungen etwas schwächer als die meisten Festbrennweiten der ersten Minolta AF-Generation. Trotzdem - und das sollte man nicht vergessen - bringt diese Optik an der A900 recht ähnliche Leistungen wie das weitaus teurere und schwerere Sony Zeiss ZA 2.8/24-70mm.
Zu guter letzt eine weitere Neurechnung aus dem Jahre 1981: Das neue MD 2/28 mm ist wesentlich kleiner und mit 265g auch leichter als seine jeweils 340g schweren Vorgänger MC 2/28 mm und MC 2.5/28 mm. Auch diese Optik hat Floating Elements. Leistungsmässig steht das neu gerechnete MD 2/28 mm eindeutig an der Spitze aller hier getsteten 28 mm-Objektive, auch wenn das vorliegende Exemplar offensichtlich einen kleineren Fallschaden hatte. Eine optisch sehr wahrscheinlich identische Variante (jedenfalls legen das die publizierten Querschnitte nahe) gibt es als Minolta AF 2/28mm. Dessen Leistung ist auch am 24 MP Vollformat ansprechend: Etwas flau (aber detailreich) bei Offenblende, aber - abgesehen von deutlichen CAs - sehr gut bis in die Bildecken bei Abbendung auf f8-f11.